Dr. Heinz Nauer, SAGW, Redaktor
Mehr als 20'000 wissenschaftliche Zeitschriften veröffentlichen weltweit jedes Jahr mehr als 1 Million Artikel. Dazu kommen 3 Millionen Artikel, die im vorangehenden Peer-Review-Verfahren abgelehnt werden. Und die Zahlen wachsen ständig: Gemäss einer bibliometrischen Studie verdoppelt sich der Ausstoss an wissenschaftlichen Publikationen alle 9 Jahre.
Es gibt Legenden, welche die Anfänge der Techniken im Wissenschaftssystem, welche sich mit der Evaluation dieser Textflut befassen, ganz weit zurückdatieren. Nehmen wir das Beispiel des wissenschaftlichen Publikationsverfahrens: Die Legende besagt, das Peer-Review-Verfahren von heute sei 1665 von Henry Oldenburg, dem ersten Sekretär der Royal Society of London und Herausgeber der Zeitschrift «Philosophical Transactions», erfunden worden und ergo im wissenschaftlichen Zeitschriftenwesen immer schon dagewesen.
20 Jahre New Science Regime
Naheliegender ist, die Anfänge der heutigen Qualitätsbeurteilung in den 1960er Jahren zu verorten, als in den USA gewaltige Summen in die Forschung investiert wurden, getrieben von der Angst, den technologischen Vorsprung gegenüber der Sowjetunion einzubüssen (vgl. den Aufsatz von Caspar Hirschi Wie Peer Review die Wissenschaft diszipliniert). Und die neuen Gelder verlangten nach neuen Messinstrumenten.
Ein entscheidender Schritt vollzog sich in den 1990er Jahren, als Formen des New Public Management und des mit ihm verwandten New Science Regime Einzug in die Wissenschaften hielten. Sie überführten Management- und Evaluationstechniken aus der Privatwirtschaft in einen akademischen Kontext und validierten vor allem den quantitativen Output von Forschenden. Seither gilt auch in der Forschung: Es zählt, was sich zählen lässt.
Unbehagen in der Welt der Kennziffern
Die Akademien der Schweiz griffen das Verhältnis von Qualität, Quantität und Erfolg in der Wissenschaft für eine Podiumsdiskussion auf, die am 15. Februar in der Reihe «Science at Noon» im Haus der Akademien in Bern stattfand. «Das Pendulum in der Wissenschaftsevaluation scheint zurück in Richtung qualitativer Messmethoden auszuschlagen», sagte Antonio Loprieno, Präsident der Akademien, welcher die Veranstaltung moderierte. Matthias Egger, Präsident des Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds, sprach von einem weit verbreiteten «Unbehagen» bei der Abstützung auf rein quantitative Impact-Faktoren und Gerd Folkers, Präsident des Schweizerischen Wissenschaftsrates, von einer «Verpflichtung der akademischen Forschung Schritte in dunkle Gegenden zu tun, wo noch niemand zuvor war». Solche Schritte, so Folkers, vertrügen sich schlecht mit der «Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs in den letzten Jahrzehnten».
Zurück zum Losentscheid?
Es gibt wohl kaum eine Forschungsförderinstitution, welche die Frage nach der Erneuerung der Instrumente zur Messung wissenschaftlichen Erfolgs derzeit nicht umtreibt.
Es seien hier nur zwei Initiativen genannt:
1. Der SNF plant eine eigene Portfolio-Plattform für Forschende, auf der einzelne Projekte im Vordergrund stehen sollen und nicht lange Publikationslisten. «Ideen statt CV», sei das Motto, sagte Matthias Egger. Der SNF greift damit einen Vorschlag auf, der schon länger kursiert, und beispielsweise vom internationalen Projekt «ACUMEN» propagiert wird.
2. Die deutsche Volkswagenstiftung, die jedes Jahr rund 150 Millionen Euro in die Forschung fliessen lässt, experimentiert zurzeit mit einer klassischen, aber etwas in Vergessenheit geratenen Methode, aus einer grossen Menge auszuwählen: dem Losentscheid. Über Anträge, die es auf die Shortlist schaffen und von einer Jury als forschungswürdig eingestuft werden, entscheidet zum Schluss das Los.
Das sind nur zwei Beispiele von vielen. Doch sind die etablierten Messinstrumente und Evaluationskriterien – h-Index, Journal Impact Factor, Hochschulrankings – noch immer fest in der Wissenschaftskultur verankert. Gerade bei älteren Forschenden, die ihre Karrieren über Jahrzehnte auf quantitative Messinstrumente bauten, sei es naturgemäss schwierig diese nun «aus den Köpfen zu bringen», so Matthias Egger.
****
Siehe zum Thema auch:
Marlene Iseli, Markus Zürcher, (2018): Zur Diskussion: Qualität vor Quantität (Swiss Academies Communications 13,5). DOI: doi.org/10.5281/zenodo.1409674.
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Mehr als 20'000 wissenschaftliche Zeitschriften veröffentlichen weltweit jedes Jahr mehr als 1 Million Artikel. Dazu kommen 3 Millionen Artikel, die im vorangehenden Peer-Review-Verfahren abgelehnt werden. Und die Zahlen wachsen ständig: Gemäss einer bibliometrischen Studie verdoppelt sich der Ausstoss an wissenschaftlichen Publikationen alle 9 Jahre.
Es gibt Legenden, welche die Anfänge der Techniken im Wissenschaftssystem, welche sich mit der Evaluation dieser Textflut befassen, ganz weit zurückdatieren. Nehmen wir das Beispiel des wissenschaftlichen Publikationsverfahrens: Die Legende besagt, das Peer-Review-Verfahren von heute sei 1665 von Henry Oldenburg, dem ersten Sekretär der Royal Society of London und Herausgeber der Zeitschrift «Philosophical Transactions», erfunden worden und ergo im wissenschaftlichen Zeitschriftenwesen immer schon dagewesen.
20 Jahre New Science Regime
Naheliegender ist, die Anfänge der heutigen Qualitätsbeurteilung in den 1960er Jahren zu verorten, als in den USA gewaltige Summen in die Forschung investiert wurden, getrieben von der Angst, den technologischen Vorsprung gegenüber der Sowjetunion einzubüssen (vgl. den Aufsatz von Caspar Hirschi Wie Peer Review die Wissenschaft diszipliniert). Und die neuen Gelder verlangten nach neuen Messinstrumenten.
Ein entscheidender Schritt vollzog sich in den 1990er Jahren, als Formen des New Public Management und des mit ihm verwandten New Science Regime Einzug in die Wissenschaften hielten. Sie überführten Management- und Evaluationstechniken aus der Privatwirtschaft in einen akademischen Kontext und validierten vor allem den quantitativen Output von Forschenden. Seither gilt auch in der Forschung: Es zählt, was sich zählen lässt.
Unbehagen in der Welt der Kennziffern
Die Akademien der Schweiz griffen das Verhältnis von Qualität, Quantität und Erfolg in der Wissenschaft für eine Podiumsdiskussion auf, die am 15. Februar in der Reihe «Science at Noon» im Haus der Akademien in Bern stattfand. «Das Pendulum in der Wissenschaftsevaluation scheint zurück in Richtung qualitativer Messmethoden auszuschlagen», sagte Antonio Loprieno, Präsident der Akademien, welcher die Veranstaltung moderierte. Matthias Egger, Präsident des Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds, sprach von einem weit verbreiteten «Unbehagen» bei der Abstützung auf rein quantitative Impact-Faktoren und Gerd Folkers, Präsident des Schweizerischen Wissenschaftsrates, von einer «Verpflichtung der akademischen Forschung Schritte in dunkle Gegenden zu tun, wo noch niemand zuvor war». Solche Schritte, so Folkers, vertrügen sich schlecht mit der «Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs in den letzten Jahrzehnten».
Zurück zum Losentscheid?
Es gibt wohl kaum eine Forschungsförderinstitution, welche die Frage nach der Erneuerung der Instrumente zur Messung wissenschaftlichen Erfolgs derzeit nicht umtreibt.
Es seien hier nur zwei Initiativen genannt:
1. Der SNF plant eine eigene Portfolio-Plattform für Forschende, auf der einzelne Projekte im Vordergrund stehen sollen und nicht lange Publikationslisten. «Ideen statt CV», sei das Motto, sagte Matthias Egger. Der SNF greift damit einen Vorschlag auf, der schon länger kursiert, und beispielsweise vom internationalen Projekt «ACUMEN» propagiert wird.
2. Die deutsche Volkswagenstiftung, die jedes Jahr rund 150 Millionen Euro in die Forschung fliessen lässt, experimentiert zurzeit mit einer klassischen, aber etwas in Vergessenheit geratenen Methode, aus einer grossen Menge auszuwählen: dem Losentscheid. Über Anträge, die es auf die Shortlist schaffen und von einer Jury als forschungswürdig eingestuft werden, entscheidet zum Schluss das Los.
Das sind nur zwei Beispiele von vielen. Doch sind die etablierten Messinstrumente und Evaluationskriterien – h-Index, Journal Impact Factor, Hochschulrankings – noch immer fest in der Wissenschaftskultur verankert. Gerade bei älteren Forschenden, die ihre Karrieren über Jahrzehnte auf quantitative Messinstrumente bauten, sei es naturgemäss schwierig diese nun «aus den Köpfen zu bringen», so Matthias Egger.
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Siehe zum Thema auch:
Marlene Iseli, Markus Zürcher, (2018): Zur Diskussion: Qualität vor Quantität (Swiss Academies Communications 13,5). DOI: doi.org/10.5281/zenodo.1409674.
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