Für eine neue Qualitätsbeurteilung in der Wissenschaft

Beatrice Kübli, SAGW, Kommunikation

Wirtschaftliche Überlegungen beeinflussen heute fast alle Bereiche unserer Gesellschaft. Auch die Wissenschaft ist davon nicht ausgenommen. Die Qualität und die Leistung von Universitäten und Forschenden stehen unter dauernder Beobachtung. Was ins Sytem investiert wird, soll auch einen entsprechenden Output generieren. Als Wirkung zeigt sich: Die Produktion hat zugenommen und das Wissenschaftssystem wächst. Aber was in der Wirtschaft ein Erfolg ist, führt in der Wissenschaft zu Schwierigkeiten. Die SAGW und die Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) plädieren in einer eben veröffentlichten Publikation für Qualität vor Quantität.

Es zählt, was sich zählen lässt
Rund 50% der Kriterien, die Geisteswissenschaftler als wesentlich für die Beurteilung von Forschungsqualität erachten, sind nicht in Zahlen messbar. Zahlen sind aber beliebt in unserer wirtschaftlich denkenden Gesellschaft und vermitteln einen scheinbar objektiven Wert. So zählt auch im Wissenschaftssystem, was sich zählen lässt: viele Publikationen und viele Zitierungen. Gut ist, wer viele Ergebnisse veröffentlicht und von anderen in ihren Studien häufig erwähnt wird. Besser ist, wer noch mehr publiziert und noch mehr zitiert wird. Wie oft die Forscherkollegen auf die eigenen Arbeiten hinweisen, lässt sich wenig beeinflussen. Eine Möglichkeit wäre, ein unsinniges Resultat zu publizieren. Ob die Kollegen die Publikation zitieren, weil sie so genial ist, oder weil sie ein abschreckendes Beispiel darstellt, spielt in der Evaluation nämlich keine Rolle. Mehr Einfluss können Forschende auf die Anzahl ihrer Publikationen ausüben. Statt das Ende einer Studie abzuwarten, könnte man über die Teiletappen berichten und so seinen Output vervielfachen.

Die aktuelle Qualitätssicherung führt zu Qualitätsverlust
Ein Qualitätssicherungssystem, das auf Quantität setzt, führt in der Wissenschaft zu Fehlanreizen und erhöht den Verwaltungsaufwand. Der Alltag wird geprägt durch die ständige Beurteilung eigener und fremder Leistungen. Durch den Publikationsdruck werden Ergebnisse früher und in Teilen veröffentlicht. Da die Artikel vorher zur Qualitätssicherung von anderen Forschenden gelesen und beurteilt werden, führen viele Publikationen auch zu vielen Peer-Review-Aufträgen. Unter Zeitdruck werden Fehler übersehen. Die Qualität wissenschaftlicher Ergebnisse kann teils nicht mehr ausreichend gesichert werden. Gerade in Zeiten von Fake News darf das Vertrauen in die Wissenschaft aber nicht gefährdet werden. Will man nicht die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Befunde aufs Spiel setzen, muss sich etwas ändern. «Es ist an der Zeit, dass im universitären Feld Ergebnisse wieder debattiert und nicht gezählt werden», fordert der SAGW-Generalsekretär Dr. Markus Zürcher.

Wissenschaft, nicht Marktwirtschaft
Um die Glaubwürdigkeit der Forschung aufrechtzuerhalten, muss sich die Evaluationspraxis an der Logik der Wissenschaft orientieren, nicht an den Spielregeln der Wirtschaft oder der Politik. Die SAGW und SCNAT erinnern in ihrer Publikation an die Prinzipien einer funktionierenden Wissenschaft:
  • Das Hauptgeschäft der Wissenschaft ist nicht Wissen, sondern dessen Infragestellung.
    - Entsprechend sind auch Studien mit Negativergebnissen von Bedeutung.
    - Auch müssen Replikationsstudien wissenschaftliche Anerkennung erhalten.
  • Zur Überprüfungs- und Nachvollziehbarkeit der wissenschaftlichen Forschungserkenntnisse müssen die Prozesse offengelegt werden.
  • Wissenschaftliche Glaubwürdigkeit beruht auf der Einhaltung expliziter Qualitätskriterien mit Blick auf das Forschungsdesign, den methodologischen Ansatz, die Analyse und die Verwendung von Ressourcen.
  • Wissenschaftlicher Fortschritt ist weder linear noch planbar, die Projektförmigkeit wissenschaftlichen Tuns gründet auf einem auf die Wissenschaft nicht nahtlos übertragbaren Effizienz-Denken.
  • Erkenntnisgewinn statt Produktivität steht im Fokus– «Think first, then submit».
  • Zeit ist das höchste Gut für ein funktionierendes Wissenschaftssystem. Zeit für kreative Ansätze, Zeit zum Scheitern, Zeit für den Blick über den eigenen Tellerrand.


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Publikation
Marlene Iseli/Markus Zürcher. Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW): «Zur Diskussion: Qualität vor Quantität»
Swiss Academies Communications 13 (5)
Download: http://www.sagw.ch/sagw/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/publis-wiss-pol.html


Veranstaltung

Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT): «Beyond impact factor, h-Index and university rankings: Evaluate science in more meaningful ways»
Datum: 21. November 2018
Ort: Kursaal, Bern

Weitere Informationen: https://naturwissenschaften.ch/service/events/103587-beyond-impact-factor-h-index-and-university-rankings-evaluate-science-in-more-meaningful-ways




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