Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Unser
Datenmanager „Staat“ ist bei der aktuellen Debatte um
Elternzeit am Rechnen: Addieren, Prozentzahlen bestimmen und mit anderen
Ländern vergleichen. Die numerische Abbildung der Realität in Schweizer Familien
ist Grundlage und zugleich Legitimierung für Strategien, Forderungen und
politische Vorstösse. Die latente Gefahr, dass im Binärcode ein
Schwarzweiss-Denken schlummert, wird in der Hektik der Debatte kaum
wahrgenommen. Mit einer buchhalterischen Exaktheit soll der Status Quo in
unserer Gesellschaft angestrebt werden. Tatsache ist, dass 1'256'578
Familienhaushalte mit Kindern in der Schweiz leben. Sieben von zehn Frauen
(70%) und knapp zwei Drittel der Männer (64%) im Alter von 25 bis 80 Jahren sind
Eltern von einem oder mehreren Kindern. Die Geburtenziffer liegt bei 1,55 (Jahr
2016). Eine Zahl, die angibt wie viele Kinder eine Frau im Verlaufe ihres
Lebens im Durchschnitt zur Welt bringt. Und! Eine weitere Erhebung zu Familien
und Generationen (EFG) ist dieses Jahr am Laufen – erste Resultate werden 2019
erwartet.
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/familien/kinderwunsch-elternschaft.html
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/familien/formen-familienleben.assetdetail.4582780.html
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/familien/formen-familienleben.assetdetail.4582780.html
Eine Familienaffäre
Kinder auf die Welt bringen, Nachwuchs pflegen, unsere Zukunft absichern – alles schön und gut, aber sobald sich die Debatte um Elternzeit dreht, dann kochen Emotionen hoch. Es scheint, dass Kinderkriegen keine Privatsache ist. Oder doch? Mit Ach und Krach wurde im Jahr 2005 ein Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen eingeführt. Bis 2005 durften Mütter während acht Wochen nach der Geburt nicht arbeiten, es gab jedoch keine finanzielle Absicherung – obwohl seit 1945 ein Verfassungsauftrag an den Bund zur Einführung einer Mutterschaftsversicherung bestand. Und jetzt, 13 Jahre später, liegt der Wunsch nach Vaterschaftsurlaub auf dem Tisch. In Bern wird derzeit über mehrere Vorschläge beraten: Etwa eine Volksinitiative für 20 Tage Vaterschaftsurlaub oder ein Vorschlag der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) für 2 Wochen Vaterschaftsurlaub wie auch von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) ein Gegenvorschlag für einen Elternurlaub von 16 Wochen. Der auffälligste Vorschlag jedoch stammt von der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF), eine ausserparlamentarische Kommission und beratendes Organ des Bundesrates: Empfohlen ist eine Elternzeit von 38 Wochen mit einem Erwerbsersatz von 80 Prozent.
Kinder auf die Welt bringen, Nachwuchs pflegen, unsere Zukunft absichern – alles schön und gut, aber sobald sich die Debatte um Elternzeit dreht, dann kochen Emotionen hoch. Es scheint, dass Kinderkriegen keine Privatsache ist. Oder doch? Mit Ach und Krach wurde im Jahr 2005 ein Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen eingeführt. Bis 2005 durften Mütter während acht Wochen nach der Geburt nicht arbeiten, es gab jedoch keine finanzielle Absicherung – obwohl seit 1945 ein Verfassungsauftrag an den Bund zur Einführung einer Mutterschaftsversicherung bestand. Und jetzt, 13 Jahre später, liegt der Wunsch nach Vaterschaftsurlaub auf dem Tisch. In Bern wird derzeit über mehrere Vorschläge beraten: Etwa eine Volksinitiative für 20 Tage Vaterschaftsurlaub oder ein Vorschlag der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) für 2 Wochen Vaterschaftsurlaub wie auch von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) ein Gegenvorschlag für einen Elternurlaub von 16 Wochen. Der auffälligste Vorschlag jedoch stammt von der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF), eine ausserparlamentarische Kommission und beratendes Organ des Bundesrates: Empfohlen ist eine Elternzeit von 38 Wochen mit einem Erwerbsersatz von 80 Prozent.
Evidenzbasierte Erkenntnisse
Die Empfehlung der
Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) ist mutig und
benötigt daher ein Feuerwerk von Argumenten zur Legitimierung ihres Vorschlages.
Für eine Literaturanalyse haben sie INTERFACE, ein privates Institut für
Politstudien, Forschung und Beratung in Luzern beauftragt. Das Resultat des
Auftrages ist eine Fleissarbeit mit dem sperrigen Titel „Evidenzbasierte
Erkenntnisse zu Wirkungen von Elternzeit sowie Mutterschafts- und
Vaterschaftsurlaub.“ Die publizierten Studien stammen aus der ganzen Welt
und zeigen ein Abbild, wie sich Elternzeit auf insgesamt neun gesellschaftliche
Bereiche auswirkt: Elternzeit fördert die Gesundheit des Kindes, unterstützt
die Entwicklung des Kindes, fördert auch die Gesundheit der Mutter, stärkt die
Vater-Kind-Beziehung, erhöht den Kinderwunsch und die Erwerbsarbeit der Mutter…
Elternzeit lohnt sich sogar für Unternehmen, ist volkswirtschaftlich ein Gewinn
und fördert nicht zuletzt die Gleichstellung zwischen Frau und Mann. Auf der umfassenden
Literaturanalyse basiert ein Modellvorschlag mit maximal 38 Wochen für die Eltern
(siehe „Elternzeit – weil sie sich lohnt!“): 14 Wochen sind für die Mutter reserviert, acht Wochen für den Vater
und die restlichen Wochen lassen sich in drei Optionen aufteilen. Die Eltern
dürfen jedoch nur zwei Wochen gleichzeitig beim Neugeborenen sein. Diese
Elternzeit soll der Schlüssel sein zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und
Familie. Zumal die Schweiz gemäss OECD zu den Schlusslichtern vom bezahlten
Urlaub für Mutter und Vater gehört: Die Schweiz steht vor Mexiko – definitives
Schlusslicht ist die USA (oder es fehlen die Daten?). Interessant ist, dass auf
diesem Ranking das Land Ungarn auf Rang drei steht. „Niemand
will 'Genderologen' anstellen, infolgedessen braucht man auch keine auszubilden“,
sagte der stellvertretende ungarische Ministerpräsident Zsolt Semyen dem
Nachrichtenportal „atv.hu“ im August 2018. Der Entwurf einer
Ministerialverfügung untersagt Universitäten, künftig Lehrgänge im Fach
Geschlechterforschung anzubieten – aber bei der OECD stehen sie auf Rang drei
in der Frage der Elternzeit.
https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/53290.pdf
Scheinkorrelationen
Obwohl es im Ranking der OECD
keine Daten über die USA gibt, sind in der Literaturanalyse für EKFF sehr wohl
US-Studien aufgeführt. „Die amerikanische Studie von Rossin-Slater 2011
basiert auf einer Analyse des 1993 eingeführten Family and Medical Leave Act
(FMLA). Die Einführung des FMLA führte zu einer leichten Zunahme des
Geburtsgewichtes von Kindern, zu einer leichten Abnahme des Risikos von
frühzeitigen Geburten und zu einer Abnahme der Kindersterblichkeit für Kinder
von gut ausgebildeten Frauen. Diese Ergebnisse werden von einer neueren Studie
von Stearns 2015 bestätigt. Darin werden die Auswirkungen eines kurzen,
bezahlten Mutterschaftsurlaubes, welcher auch pränatal bezogen werden kann, in
fünf US-Staaten auf das Geburtsgewicht der Kinder über einen Zeitraum von 13
Jahren analysiert. Durch die Einführung dieses Mutterschaftsurlaubes reduzierte
sich der Anteil an Kindern mit tiefem Geburtsgewicht um etwa 3,2 Prozent
zwischen 1972 und 1985“, schreiben die Autoren. Man kann sich fragen, ob der schwache
Einfluss auf das Geburtsgewicht nicht etwa auf medizinische Fortschritte
basiert. Solch schwache Ergebnisse sind jedoch kaum ein gutes Argument für eine
starke Lobby, etwa für die Arbeitgeber und können sehr schnell als
Scheinkorrelationen verstanden werden.
Arbeitgeber für Mamis und Papis
Gelesen in der NZZ (25.
8.2018): Die politische Kontroverse über den Vaterschaftsurlaub wirft ein
Schlaglicht auf die Praxis in der Wirtschaft. Die Arbeitgeber haben laut
Fachleuten in Sachen Familienfreundlichkeit noch viel Luft nach oben. „Kinder
machen Freude. Doch diese bekommt man nicht umsonst. Kinder bedeuten für Eltern
auch Kosten einschliesslich Zeitbedarf. Die laufende politische Kontroverse
betrifft die Frage, welcher Anteil dieser Kosten von den Eltern auf die
Allgemeinheit zu überwälzen ist. Etwas mehr als heute, fordert die von
Arbeitnehmer- und Familienorganisationen lancierte Volksinitiative für einen
Vaterschaftsurlaub“, schreibt die NZZ. Der Vorstoss verlange einen
bezahlten Vaterschaftsurlaub von 20 Tagen. Bezahlt würde er via Lohnabzüge. Der
Arbeitgeberverband ist nicht grundsätzlich gegen den Vaterschaftsurlaub, will
aber keinen gesetzlichen Zwang; die Sache sei vielmehr auf Betriebs- oder
Branchenebene auszuhandeln. „Das Postulat der „Vereinbarkeit
von Beruf und Familie“ ist in der öffentlichen Diskussion zwar schon ein
Heiligtum, doch vom Postulat zur gelebten Praxis kann es ein grosser Sprung
sein“, mahnt die NZZ.
https://www.nzz.ch/wirtschaft/arbeitgeber-fuer-papis-und-mamis-ld.1414478
Bankkonto Papi
Rosinen in der
Literaturrecherche von EKFF sind schwedische Erkenntnisse: „Almqvist/Duvander
2014 analysieren in ihrer Studie die Auswirkungen des „Daddy
Month“, welcher in Schweden im Jahr 1995 eingeführt wurde.
Der „Daddy Month“ ist eine
einmonatige Elternzeit, die exklusiv von Vätern in Anspruch genommen werden
kann. Im Jahr 2002 wurde noch ein weiterer Monat hinzugefügt, Väter können aber
auch mehr Elternzeit in Anspruch nehmen, wenn sie wollen. Die Autoren zeigen,
dass Väter, die eine lange Elternzeit in Anspruch nehmen (definiert als Urlaub
länger als 2 Monate), im Durchschnitt mehr zu Haus- und Familienarbeit
beitragen als Väter, die einen kurzen Urlaub (kürzer als 2 Monate) in Anspruch
nehmen. Gemäss einer Trendstudie von Väter GmbH 2012 wirkt sich der Bezug von
Elternzeit auf die Vaterrolle aus. Auch wenn die Aspekte „Geld
verdienen“ und „Absicherung der Familie“
für den Grossteil der befragten Väter nach wie vor sehr wichtig sind, gibt es
immer weniger Männer, die sich lediglich mit ihrer Rolle als „reiner
Ernährer“ zufriedengeben.“ Genau diese Rolle als reiner Ernährer könnte
ein gutes Argument für Arbeitgeber sein, die Elternzeit zu unterstützen. Zumal
in Schweizer Chefetagen Männer das Sagen haben. Welcher Mann möchte nur noch als
Geldsack für Frau und Kind dastehen? Leider ging dieses Argument im Abstract
von EKFF „Elternzeit – weil sie sich lohnt!“
vergessen. Und im vorgeschlagenen Modell
von EKFF würden einem alleinerziehenden Vater 24 Wochen zustehen – einer
alleinerziehenden Mutter 30 Wochen. Für alle Alleinerziehende ist es schon
schwer genug, Akzeptanz in unsere Gesellschaft zu finden…
https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/53290.pdf
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