Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Wer sich die SRF-Serie anschaut, die seit Juli jeweils am Montag
20.05 Uhr ausgestrahlt wird, dem fällt auf, wie sich drei Mediziner, eine Frau,
zwei Männer, für Experten ungewohnt locker benehmen. In der Sendung gilt
generell das du – alle begegnen sich auf Augenhöhe. Der Moderator, Dr. med.
Fabian Unteregger, Komiker und Arzt führt durch die Show. Das Skript ist
einfach: Drei Mediziner treten gegen Dr. Google, den drei Laien vertreten, zum
sogenannten „Diagnose-Duell“ an. Auf der homepage der Sendung wird von
„richtigen Patienten und echten Diagnosen“ berichtet. Also hat das SRF keine
Schauspieler engagiert, sondern Menschen dazu gebracht, einem Millionenpublikum
über ihre Schmerzen und über die Verschlechterung ihrer Lebensqualität zu
berichten. Für die Diagnose bekommt das Team jeweils eine Minute Zeit zur
Patienten-Befragung. Als Joker gibt ihnen der Patient einen augenfälligen Hinweis
– etwa ein menschliches Ohr aus Gummi. Dieser Klamauk würde sich für
Laiendarsteller als Abendunterhaltung in einem Pfadfinderlager eignen, wäre da
nicht die bittere Realität des leidenden Patienten und die Demontage eines Berufstandes
mit dem höchsten Professionalisierungsgrad. „Internet ist das tägliche Brot“,
beschwichtigt die Fachärztin Dr. med. Anja Evangelisti in der Sendung. Und
Professor Dr. med Stephan Vavricka begreift diese Show als Herausforderung
gegen Algorythmen von Dr. Google. Ist das eine Auswirkung der aktuellen Krise
des Expertentums, dass sich Mediziner dazu verleiten lassen, sich seichten Diagnose-Duellen
zu stellen? Auf der homepage der Sendung wird Volksbildung betrieben:
„Hobby-Doktor oder Oberarzt? Teste dein Wissen! Wie gut kannst du Symptome
deuten? Finde es in unserem Quiz heraus.“ Im journalistischen Jargon heisst
diese Art von Rubrik vgT – vorgetäuschter Tiefgang. Man kann sich fragen, wie sich
diese Sendung auf das gebeutelte Image der Ärzte auswirken wird. Akut ist das volkswirtschaftliche
Problem der Gesundheitskosten in der Schweiz. „Die Konjunkturforschungsstelle
KOF der ETH Zürich rechnet für 2018 und 2019 mit einem stärkeren Wachstum der
Gesundheitskosten als im vergangenen Jahr. Damit dürften die Ausgaben im
laufenden Jahr auf mehr als 10'000 Franken pro Kopf anschwellen“, schreibt der
Tages-Anzeiger (12.06.2018).
Macht Geld krank?
In einer Medical
Humanities-Tagung der Reihe «Macht und Medizin» wird am 25. Oktober 2018 in
Bern über das Problem „Gesundheitskosten“ nachgedacht und debattiert. Diese
Tagungsreihe ist ein Gemeinschaftswerk der SAGW und der medizinischen Akademie
SAMW. Tatsache ist, dass es zur Eingrenzung oder gar Abschwächung der
Gesundheitskosten genügend Studien und Empfehlungen für makroökonomische
Instrumente gibt. Zu den umgesetzten Massnahmen zählen etwa neue Tarifsysteme
(SwissDRG) und Versicherungsmodelle sowie Managementvorgaben in Spitälern. Urs
Klingler, ein Vergütungsberater, hat im Auftrag des SRF eine Studie zum
Lohnsystem von Kaderärzten publiziert und damit eine öffentliche Debatte
ausgelöst. Im Oktober wird nun an der Berner-Tagung die Auswirkung der ökonomischen
Steuerungsinstrumente auf den beruflichen Alltag der Mediziner diskutiert. Beachtet
werden verschiedene Aspekte, etwa beeinflusst der Preis einer Therapie die
ärztliche Entscheidung? Werden günstigere Therapien bevorzugt? Wie steht es mit
Privatpatienten: Wird ein gut versicherter Mensch zur überbehandelten Cash-Cow?
An der Tagung ist auch das Thema ÄrztInnen und Löhne nicht tabu: Bedeutet mehr
Lohn automatisch mehr Macht bzw. mehr Prestige im medizinischen Bereich? Wie hierarchisch
sind medizinische Fachbereiche untereinander aufgestellt und beeinflussen
dadurch die Studienwahl angehender ÄrztInnen. Die Tagung mit dem gefälligen
Titel „Die Macht des Geldes“ ist auch eine Diskussions-Plattform für einen Berufsstand,
der von der aktuellen Expertenkrise betroffen ist – zumal ohne ÄrztInnen unsere
Lebensqualität eine andere Dimension bekäme. Mehr Information und Anmeldung:
Experten fallen vom
Sockel
„Die Krise des Expertentums tangiert nicht bloss die
Wissenschaft. Ärzte berichten von Patienten, die keinen Rat suchen, sondern
Behandlungen einfordern, die sie zuvor gegoogelt hatten“ schreibt das Schweizer
Forschungsmagazin „horizonte“ in der Titelgeschichte (Juni 2018). „Besonders
beliebt waren Experten nie. Menschen lassen sich nicht gern belehren – wer auf
Genauigkeit besteht, gilt rasch als Besserwisser.“ Tom Nichols, Dozent für nationale
Sicherheitsfragen am U.S. Naval War College in Newport, erkennt eine bedeutende
Ursache: „Unsere hochtechnologisierte Welt funktioniert so reibungslos, dass es
die Leute zur falschen Vorstellung verführt, es sei alles ganz einfach. Man
drückt einen Knopf, und die E-Mail fliegt ans andere Ende der Welt. Niemand
denkt an all die Experten von den Ingenieuren über die Softwaredesigner bis zu
den Diplomaten, die das erst möglich machen.“ Ohne Internet wären solche
Fehlentwicklungen kaum möglich. Die kosten- und grenzenlose Verfügbarkeit von
Informationen würden auch nicht zum Olymp des Wissens führen. Gleichberechtigt
stehen heute gesichertes Wissen, fundierte, faktentreue Meinungen neben
Verschwörungstheorien, Geschwätz und Fake-News. Die sozialen Medien würden
diese Entwicklung verstärken, so Tom Nichols: „Auf Facebook sind wir alle
Kollegen. Das hat zur lächerlichen Vorstellung geführt, wir wüssten alle gleich
viel und alle Meinungen seien gleichwertig.“ Es wäre interessant zu wissen, wie
der US-Amerikaner die SRF-Serie „Diagnose-Duell“ einschätzen würde. Zumal
Ferndiagnosen aus dem Internet ein Biotop für Cyberchonder – Le Malade
imaginaire (Molière 1673) – im Informationszeitalter sind. Gesundheitskosten
werden mit diesen Ferndiagnosen bestimmt nicht eingespart, im Gegenteil, jeder
Cyberchonder landet früher oder später in einer Sprechstunde...
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