Das Elend mit der Gleichheit


Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Die 21 Projekte des Nationalen Forschungsprogramms «Gleichstellung der Geschlechter» (NFP 60) sind seit vier Jahren abgeschlossen. Unter anderem wurden nach den Ursachen gesucht, warum Ungleichheiten der Geschlechter sich in der Schweiz teilweise so hartnäckig halten. Zumal die Gleichstellung von Mann und Frau von ökonomischen, gesellschaftlichen wie auch von individuellen Nutzen sein könnten.

Ungleiche Löhne für Mann und Frau haben oft einen guten Grund
Mit diesem Titel hat die NZZ am Sonntag (19.8.2018) viel Aufmerksamkeit bekommen – von Frau und Mann, versteht sich. Endlich den Grund zu erfahren, warum die Arbeit der Frau weniger Wert ist als die des Mannes. Dieses Geheimnis soll die Doktorandin Barbara Bauer zusammen mit Reiner Eichenberger, Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Universität Freiburg, gelüftet haben – ohne NFP 60. Bis anhin wurden lohnwirksame Faktoren wie etwa Alter, Ausbildung, Funktion oder Branche berücksichtigt – ausgeblendet war der Arbeitsweg. „Davon am wichtigsten sind die zeitlichen, psychischen und finanziellen Kosten für den Arbeitsweg. Für viele ist ein langer Arbeitsweg belastend, oft sogar belastender - oder weniger erfreulich - als die Arbeit selbst“, schreiben die Autoren. „Misst man nicht die Löhne pro Arbeitszeit, sondern pro Arbeitszeit und Arbeitsweg, so schwinden die Unterschiede zwischen Mann und Frau.“ Die Frage, warum Frauen kürzere Arbeitswege wählen, sei einfach zu beantworten...

Sind Frauen die heimlichen Grossverdiener?
„Frauen mit Familie dürften im Durchschnitt eine stärkere Präferenz für kurze Pendelwege haben als Männer, weil es für die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie und auch aus Steuergründen - Mehreinkommen wird besteuert, Zeitersparnis nicht - vorteilhaft ist“, schreiben die Gastautoren in der NZZ am Sonntag. Darum würden Frauen eine nahe gelegene Stelle mit tieferem Lohn einer weiter entfernten mit höherem Lohn vorziehen. Das Fazit: „Frauen haben tiefere Löhne pro Arbeitsstunde, aber dafür kürzere Arbeitswege. Folglich fallen die Unterschiede bei Lohn pro Arbeitsaufwand gemessen als Summe von Arbeitszeit, Arbeitswegzeit und Arbeitswegkosten deutlich geringer aus“. Mit dieser Vereinfachung ist jetzt auch ersichtlich, dass die Frauen in unserem Land sogar die heimlichen Grossverdienerinnen sein könnten: Addiert man ihre Familienarbeit zum Lohn, dann ergibt die Summe sehr schnell ein veritables Sümmchen. Dumm nur, dass keine aktuellen Zahlen existieren, wieviel Familienarbeit in Franken kostet bzw. ein anerkannter Stundenansatz wäre wichtig. Aus dem Familienbericht 2017 geht hervor (Seite 39): „Die Hauptverantwortung für Hausarbeit und Kinderbetreuung liegt in den meisten Haushalten bei den Frauen. In fast zwei Dritteln der Paarhaushalte (63%), in denen beide Partner im Alter von 25 bis 54 Jahren sind, wird die Hausarbeit hauptsächlich von der Frau erledigt, während nur in 5,1% der Haushalte hauptsächlich der Mann zuständig ist.“ Dumm ist auch, dass die Kinderbetreuung meistens vom Lohn der Frau bezahlt wird, das bedeutet weniger Reisekosten, dafür die monatliche Rechnung der KITA. „Die heimlichen Grossverdienerinnen“ sollen bei der nächsten Reform auch die AHV retten und bis 65 arbeiten – jedenfalls ist die Gleichstellung in der Bundesverfassung verankert. Wer jedoch die durchschnittlichen AHV-Bezüge geschlechterspezifisch betrachtet, der wird auf einen Blick sehen, dass es mit der Gleichstellung in unserem Land hapert...

Traue nie einem Impact-Faktor
Ein Synthesebericht des NFP 60 über «Gleichstellung der Geschlechter» bündelt die Ergebnisse und setzt Impulse zur Verbesserung von Gleichstellung, Chancengleichheit und Wahlfreiheit für Männer und Frauen in der Schweiz. Jetzt wurde das NFP 60 in einer wissenschaftlichen Manier mit zwei anderen Nationalen Projekten verglichen: NFP 59 „Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderten Pflanzen“ und NFP 61 „Nachhaltige Wassernuzung“. Die harte Währung zur Beurteilung der Forschungsprogramme ist der Impact Factor (IF), eine Zahl, deren Höhe den Einfluss einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift wiedergibt für einen bibliometrischen Vergleich. Er ist jedoch kein eigentliches Mass für die Qualität der Artikel, sondern gibt Auskunft darüber, wie oft die Artikel in anderen Publikationen zitiert werden bzw. über die Wirkung in wissenschaftlichen Kreisen: Der Output bei „Nachhaltige Wassernutzung“ brilliert mit 191, die „gentechnischen veränderten Pflanzen“ sind mit 184 auf Rang zwei und das Schlusslicht ist die Gleichstellung mit 124 Outputs. Für die Wirkung in der Wissenschaft werden die beiden naturwissenschaftlichen Programme gelobt, besonders für die internationale Anerkennung, und bekommen das Prädikat – sehr starke und starke Wirkung. Die Gleichstellung hingegen wird als kraftlos eingestuft mit „geringer internationaler Sichtbarkeit“. Diese Beurteilung erklärt nicht etwa wie schwach die Qualität der wissenschaftlichen Leistung ist, sondern wie schwach der Impact-Faktor selber ist: Die Gleichstellung von Mann und Frau in dem kleinen Land Schweiz, das auch nicht in der EU ist, stösst wohl nie auf grosses internationales Interesse – im Gegensatz zur „Nachhaltigen Wassernutzung“. Ein Fazit über das Fazit der Evaluation von NFP 59 bis 61: Traue nie einem Impact-Faktor ohne Kontext – was für die Naturwissenschaften gelten kann ist kein Gütesiegel für die Geistes- und Sozialwissenschaften. http://www.snf.ch/SiteCollectionDocuments/nfp_wirkungspruefung_schlussbericht_en.pdf

Das Diktat der Gleichgültigkeit
Die Wirkungsprüfung des NFP 60 hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, der die ganze Gesellschaft angeht: „Zwar hatte das Programm vielerlei ausserakademische Wirkungen, doch diese traten hauptsächlich in Feldern und Organisationen auf, die bereits im Bereich Geschlechtergleichstellung arbeiteten. Bereiche von Politik und Praxis, die traditionell nicht mit Fragen der Ungleichheit der Geschlechter in Verbindung gebracht werden, konnten kaum erreicht werden. Sowohl die verfügbare Dokumentation als auch die eigenen Einschätzungen der Forschenden zeigen, dass die Auswirkungen des NFP in diesen Bereichen geringer waren als erhofft.“ Das NFP 60 beweist nicht nur ein mangelndes Interesse, sondern eine offenkundige Gleichgültigkeit für die Geschlechtergleichstellung in unserem Land. „However, there was a fundamental difficulty in transferring results, impulses and recommendations from multipliers such as interested media outlets and gender equality bureaus into higher level decision-making spheres, where political resistance or lack of interest posed major barriers to more far-ranging effects on policy and practice”, siehe Seite 22. Mit dieser Haltung in Gesellschaft und Politik ist das Feld offen für eigenartige Methoden, welche die Ungleichheitsprobleme schönreden und behaupten, dass in der Schweiz kein Gender Cap existiert, wie etwa in der NZZ am Sonntag („Ungleiche Löhne für Mann und Frau haben oft einen guten Grund“). Hinzu kommt eine abstruse Zahlengläubigkeit im Zeitalter von Big Data: Statistiken sind ein wunderbares Werkzeug den Ist-Zustand einer Gesellschaft zu erfassen. Sie können jedoch nur Problemzonen aufzeigen und bringen keine Lösungen. Aber! Statistiken sind die guten Impfkristalle, die zum Nachdenken anregen...

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