Vorsicht Papiertiger DSGVO

Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften Von 87 Millionen Menschen hat die politische Beratungsfirma Cambridge Analytica die persönlichen Daten ausgewertet und zu Geld gemacht. Dieser Supergau brachte sogar die Silicon Valley Ikone Mark Zuckerberg in Bedrängnis. Der Missbrauch der immensen Datenmenge ermöglichte Zuckerbergs soziales Netzwerk Facebook. Nur wenige Wochen später, als ob jetzt die Zeit reif dafür wäre, ist am 25. Mai die Datenschutz-Grundverordnung DSGVO der EU in Kraft getreten. Das neue Regelwerk der EU ist ein gigantisches Werk in elf Kapiteln in den Sprachen Deutsch und Englisch geschrieben. Kurzum, im Prinzip geht es darum, dass bei der Verarbeitung personenbezogener Daten die Grundrechte und Grundfreiheiten von natürlichen Personen beachtet werden. https://dsgvo-gesetz.de/

Urliberales Gut
„Prinzipiell hätte es die DSGVO nicht gebraucht, allein in Europa gibt es seit Jahren mehr als 200 verschiedene Datenschutzgesetze“, schreibt die NZZ (25. Mai 2018). Auch in der Schweiz besteht schon seit einem Vierteljahrhundert ein solches Gesetz, das sich derzeit in der Revision befindet. Das Schweizer Datengesetz hat jedoch einen Haken: Es kann nur national regeln, und die Globalisierung kommt in unseren Vorschriften nicht vor. „Einerseits bedeuten die strikteren Vorschriften eine Stärkung der informellen Selbstbestimmung, eines urliberalen Guts, das es zu verteidigen gilt. Andererseits haben sie für die betroffenen Unternehmen einen Mehraufwand zur Folge“, doppelt die NZZ nach.
https://www.nzz.ch/wirtschaft/strengerer-datenschutz-auch-in-der-schweiz-ld.1388558
Wissensgesellschaft
Daten sind Rohmaterial, aus dem Informationen und nicht zuletzt auch Wissen generiert werden kann. Die These, dass Daten zugleich auch Motor der Wissensgesellschaft sind, liegt auf der Hand. Was sich im Zeitalter der Digitalisierung manifestiert stammt jedoch aus dem Zeitalter der Aufklärung. Im Jahr 1620 schilderte Francis Bacon in seinem philosophischen Werk „Novum organum scientiarum“ – „Neues Werkzeug der Wissenschaften“, wie sich Wissen und Macht verbinden. Und wo Macht ist, besteht die Gefahr, dass diese missbraucht wird. Auf diese Gefahr reagiert etwa auch die Akademie der Sozial- und Geisteswissenschaft. Im Mai-Newsletter steht: „Die SAGW speichert und verarbeitet Ihre veröffentlichten bzw. uns mitgeteilten Kontaktdaten. So haben Sie bisher diesen Newsletter wie auch Ankündigungen von Tagungen und Publikationen von der SAGW erhalten. Möchten Sie dieses Angebot künftig nicht mehr
nutzen, dann könnten Sie sich mit dem Link in der Fusszeile unserer Mailings jederzeit abmelden. Die Verarbeitung Ihrer personenbezogenen Daten erfolgt vertraulich und ausschliesslich für die Zustellung von Informationen über die Aktivitäten der SAGW. Zudem sind ihre gespeicherten, persönlichen Daten in unseren Systemen vor Missbrauch und unberechtigtem Zugriff gesichert. Zugleich steht Ihnen das Recht auf Auskunft über Ihre bei uns verarbeiteten persönlichen Daten zu. Gerne können Sie Ihre Daten berichtigen, löschen oder für die Verarbeitung einschränken, soweit sie nicht berechtigten Interessen oder Verpflichtungen der SAGW entgegenstehen.“ http://www.sagw.ch/de/sagw/Datenschutzerklaerung.html   

Nicht nur Amtsschimmel
„Bislang ist das Datenschutzrecht ein Papiertiger, obwohl in Europa die Privatsphäre als Menschenrecht verankert ist. Allerdings merkt man der DSGVO an, dass sie das Werk von 28 beteiligten Mitgliedstaaten und zahlreichen weiteren Beteiligten – auch vielen Lobbyisten der Wirtschaft – mit unterschiedlichen Interessen ist. Die DSGVO ist deshalb teilweise weitschweifig und widersprüchlich“, sagt Martin Steiger, ein Schweizer Jurist und Experte auf dem Gebiet. „Es wird sich zeigen, wie Aufsichtsbehörden und Gerichte mit der DSGVO umgehen werden. Gleichzeitig hat die DSGVO aber bereits dazu geführt, dass der Datenschutz deutlich an Bedeutung gewonnen hat, was mich – gerade auch als Mitglied der Digitalen Gesellschaft – freut.“ Von der DSGVO sind auch Selbstständige und private Webseiten-Betreiber betroffen, wenn sich Besucher registrieren müssen, um kostenlose Angebote zu beziehen. Es spiele keine Rolle, ob jemand Personendaten als Einzelperson oder als Unternehmen bearbeite. Wenn sich eine Einzelunternehmerin mit der Website an Personen in der EU richte und diesen beispielsweise Newsletter oder Whitepaper anbiete, dann sei die DSGVO anwendbar, sagt Martin Steiger. http://www.netzwoche.ch/news/2018-05-02/martin-steiger-blogger-sind-auch-nur-bearbeiter-von-personendaten

Worauf sich Blogger einlassen müssen
Sie bearbeiten oft auch Personendaten, erfassen Nutzer in Server-Logdateien, lassen sich online kontaktieren, nutzen Spamfilter, ermöglichen das Veröffentlichen von Kommentaren, versenden Newsletter usw. „Blogger benötigen deshalb immer eine Datenschutzerklärung und müssen teilweise auch Einwilligungen einholen. Bei Einwilligungen ist zu beachten, dass die Anforderungen an die Gültigkeit hoch sind und eine erteilte Einwilligung jederzeit widerrufen werden kann. Es ist deshalb bei einem Kontaktformular häufig weder notwendig noch sinnvoll, eine Einwilligung vorzusehen. Es ist ein populärer Irrtum, dass die DSGVO immer eine Einwilligung verlangt. Man kann die Bearbeitung von Personendaten beispielsweise mit der Vertragserfüllung oder mit den eigenen überwiegenden berechtigten Interessen – dazu zählen Direktwerbung und Informationssicherheit – rechtfertigen“, sagt Martin Steiger auf netzwoche-news (2. Mai 2018). http://www.netzwoche.ch/news/2018-05-02/martin-steiger-blogger-sind-auch-nur-bearbeiter-von-personendaten

Auskunftsrecht mit Medienprivileg
Damit das Recht auf freie Meinungsäusserung und Informationsfreiheit nicht im Schlund des Papiertigers landet, dürfen etwa Fernseh- und Radiosender in Deutschland weiterhin personenbezogene Daten ohne Einwilligung von Betroffenen verarbeiten bzw. für journalistische Zwecke erheben. Aber nur die grossen Massenmedienkonzerne profitieren vom datenschutzrechtlichen Medienprivileg und können bei Bedarf das Auskunftsrecht verweigern. Dem selbständig, journalistisch tätigen Blogger etwa ist dieser Weg nach aktueller Gesetzeslage verwehrt. Ihm bleibt die Möglichkeit abzuwägen, ob sein Grundrecht auf freie Meinungsäusserung im konkreten Fall überwiegt und riskiert dabei, die Auskunftserteilung zu Unrecht zu verweigern. In diesem Bereich ist Handlungsbedarf, zumal vermehrt Journalisten auch als Blogger im Netz unterwegs sind. Man kann sich fragen, weshalb sich der Deutsche Presserat nicht äussern konnte beim Gesetzesentwurf – zumal die Medien mitten in der Transformation der Digitalisierung stecken. Die Selbstregulierung der Branche mit dem journalistischen Kodex bzw. den Rechten und Pflichten eines Journalisten, darauf sollten sich auch Blogger und freiberufliche Journalisten berufen können. Diese Selbstregulierung besteht in der Schweiz seit 1977 mit dem Presserat in Bern. Die Standesorganisation der schreibenden Zunft, etwa der Dachverband Impressum.ch, wie auch die Politik, ist gefordert – der EU-Papiertiger darf in der Schweiz, die sich formierende Publikative im Zeitalter der Digitalisierung nicht vertilgen. Medienwissenschafter Bernhard Pörksen schildert in seinem Buch „Die grosse Gereiztheit – Wege aus der kollektiven Erregung“ (Hanser-Verlag 2018), wie sich eine neue, eine fünfte Gewalt, namens Publikative entwickelt – nebst der Exekutive, Judikative, Legislative und der vierten Gewalt, des traditionellen Journalismus. Mit dieser fünften Gewalt bekommt die redaktionelle Gesellschaft als Bildungsziel eine neue Dimension, dazu gehören auch Blogger und investigativ, freischaffende Online-Journalisten. Die digitale Moderne kann die Öffnung des kommunikativen Raums begleiten und entsprechend mit Normen und Prinzipien eine Plattform-Ethik vorantreiben – dafür braucht es ein adäquates, papiertigerfreies Regelwerk. https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-grosse-gereiztheit/978-3-446-25844-0/
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