Über das Altern im Sixpack


Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften 
„Die Sichtweisen auf das Altern stehen nicht nur auf dem Prüfstand, sie scheinen über den Haufen geworfen zu werden. Altern ist nicht nur kognitiver Abbau, nicht nur sozialer Rückzug, nicht nur Warten auf den Tod“, schreibt Hans-Werner Wahl in seinem Buch über „die neue Psychologie des Alterns“, kurz NPAs. Die Analysen des deutschen Altersforschers wurden in einen breiten Kontext gestellt. Mit Erkenntnissen aus Langzeitstudien korrigiert er die vorwiegend negativen Bewertungen des Alters. Er entwirft ein neues, differenzierteres Bild vom Älterwerden und bezeichnet die vielschichtige, komplexe und längste Lebensphase als Erfolgsgeschichte. Mit seiner Publikation will er die traditionelle Vorstellung des Älterwerdens, welche in den meisten Köpfen als Verlustgeschichte herumgeistert, korrigieren. Zumal das Altern in der öffentlichen Diskussion zuoberst auf der Themenliste des Agenda Settings steht.

Morbide Sonntagslektüre
„Ältere Menschen leiden oft an mehreren Krankheiten gleichzeitig. Deshalb müssen Medizin und Wissenschaft anfangen, körperliche Leiden im grossen Zusammenhang zu sehen“, schreibt die NZZ am Sonntag (Beilage Gesundheit, 13. Mai 2018). Vor drei Jahren lebten 1,5 Millionen Rentner in der Schweiz. Gemäss Bundesamt für Statistik wird deren Zahl im Jahr 2045 auf über 2,7 Millionen ansteigen. Die NZZ am Sonntag bemerkt: „Wir werden immer älter. Aber bleiben wir auch gesund dabei?“ Der zentrale Punkt in diesem Artikel ist die sogenannte Multimorbidität, die Mehrfacherkrankung. Derzeit bestehe keine Einigkeit, wie Multimorbidität definiert werden solle – mit zwei, drei oder mehr Krankheiten. Gemäss Prognosen der WHO werde die Zahl der über 65-Jährigen mit mindestens einer chronischen Erkrankung zunehmen. Wie die WHO in ihrer globalen Strategie und Aktionsplan zu Alter und Gesundheit darlegt, müssen die beiden Begriffe Gesundheit wie auch Gesundheitsversorgung neu gedacht werden. Im Zentrum steht ein individualistisches Gesundheitsverständnis. Mehr zu diesem funktionalen Gesundheitsbegriff: http://www.ageingsociety.ch/ageing-society.html

„Jobs gibt es für die meisten Alten genug“ 
Nicht nur von Altersbeschwerden ist in den Sonntagszeitungen zu lesen – es geht auch um die finanzielle Situation der älteren Menschen, etwa um die Sicherung der Renten. Die Zauberformel für eine sichere Rente heisst länger arbeiten, kommentiert Reiner Eichenberger in der Sonntagszeitung (20. Mai 2018). Er ist ordentlicher Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Fribourg und Forschungsdirektor des CREMA (Center for Research in Economics, Management, and the Arts): „Die von der Regierung angestrebte Erhöhung der Steuern und die Abgaben können die Altersvorsorge nicht nachhaltig sichern. Vielmehr gilt es, die Lebensarbeitszeit zu erhöhen. Dazu braucht es eine gezielte Senkung der Steuern und Abgaben. Sie gibt den Alten Anreize und Möglichkeiten, freiwillig länger zu arbeiten“, schreibt Professor Eichenberger. Man kann sich fragen, warum der Wirtschaftswissenschafter (57) den Begriff „Alte“ in seiner Kommentarspalte mehrmals verwendet – obwohl die betroffene Generation diese Bezeichnung als despektierlich empfindet. Negative Altersstereotypen entstehen jedoch nicht nur aus Unachtsamkeit, sondern verbergen oft auch Ängste. Letztendlich erinnern „Alte“ die jüngeren Menschen an körperlichen Verfall und Tod. Besonders die verstärkte Präsenz des Alters durch die demografische Entwicklung kann eine Abwehrreaktion oder Diskriminierung damit den „Ageism“ verstärken.

Altersstereotypen in den Medien
Auf der Plattform Ageing Society, einem thematischen Schwerpunkt der SAGW, wird auf eine interessante Veranstaltung hingewiesen. Das Thema könnte nicht aktueller sein: Wie wird die Ageing Society in Schweizer Zeitungen behandelt? Erste Ergebnisse, Einblicke und Eindrücke in der Pro Senectute Bibliothek Zürich. Man darf gespannt sein auf das Thema Altersstereotypen. Und man darf auf das Endergebnis im Jahr 2019 hoffen. Die Präsentation liesse sich auch gut in einem Kulturzentrum oder Jugendhaus abhalten, damit wenigstens raummässig die Altersstereotypen aus den Köpfen des Publikums ausradiert werden könnten – nach Karl Marx „das Sein prägt das Bewusstsein“.
Das Zwischenergebniss wird in der Pro Senectute Bibliothek am 28. Juni 2018 von 18.00 bis 20.00 Uhr präsentiert (Bederstrasse 33, 8002 Zürich). Die Teilnahme ist kostenlos für alle Interessierten, die Registrierung obligatorisch.

Kein Ende in Sicht
Im dritten Kapitel des Buches über NAPs schreibt Professor Hans-Werner Wahl über das „Psychische Altern im Sixpack“: Es geht dabei um Gewinne und Verluste in den Bereichen (1) des Wohlbefindens und der Emotionalität, (2) um die geistige Leistung, (3) soziale Beziehungen, (4) Mobilität und Wohnen, (5) Technik wie auch (6) um Gesundheit und Krankheit. In allen Bereichen hat Hans-Werner Wahl Stärken der älteren Menschen entdeckt, gepaart mit einigen Verlusten. Der Altersforscher schreibt von einer eigentlichen Erfolgsstory: „Ältere fallen nicht ständig, machen nicht einen Fehler nach dem anderen, fahren relativ sicher Auto, erledigen ihre Standardanforderungen ziemlich gut und ziemlich lange, regen sich kognitiv dauerhaft immer wieder an. Dass sie dabei auch technologische Unterstützung bekommen, wird in absehbarer Zeit ganz selbstverständlich sein.“ Mit der Technologie als fünftes Sixpacks werden ältere Menschen Teil eines Megatrends im Zeitalter der Digitalisierung. Im Resümee betont Professor Wahl, dass Ältere immer mehr zu Agenten der eigenen Entwicklung werden. Darum prognostiziert er in naher Zukunft ein völlig neues Alter, das sich selber gestalten und sich nicht um Altersstereotypen kümmern wird. Altern ist nicht mehr etwas „Besonderes“, sondern verlangt nach einer Selbstverständlichkeit bzw. nach einer Normalisierung. „Der banale Satz hat es inzwischen in die Königsklasse wissenschaftlicher Evidenz geschafft“, erklärt Hans-Werner Wahl.

SRF-Serie „Neustart Pensionierung“
„Fünf Schweizerinnen und Schweizer mit unterschiedlichen Schicksalen gewähren Einblick in ihr Leben und geben Antworten, welche Sehnsüchte, Ängste und Möglichkeiten die Freiheit im Alter mit sich bringt“, gemäss SRF-hompage. „Wie sehr beschäftigt uns die Rente? SRF widmet sich dieser banalen und doch fundamentalen Frage und begleitet zwei Frauen und drei Männer während knapp acht Monaten auf dem Weg zur Pensionierung und darüber hinaus; hautnah, ehrlich und emotional.“ Ist diese Frage wirklich banal, wie es SRF ankündigt? Vermutlich hat die SRF-Redaktion nichts über die „Neue Psychologie des Alterns“ gelesen. Eine Pensionierung ist nie banal bzw. oberflächlich ohne Inhalte...

Man lernt nie aus
Ein Hollywood-Film zeigt auf, wie sich das psychische Altern im Sixpack nach Professor Hans-Werner Wahl gestalten könnte. Der Schauspieler Roberto de Niro verkörpert Ben, der sich mit 70 als Praktikant bei einem Start-Up-Unternehmen in New York bewirbt. Das Drehbuch der Komödie ist feinfühlig angelegt, regt zum Denken an und vermittelt eine Leichtigkeit, ohne dabei Altersstereotypen zu festigen...

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