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„Digitalisierung:
Diese sieben Dinge braucht die Schule der Zukunft“, titelt der Wirtschaftsverband
economiesuisse im Netz (Februar 2018). Der Verband outet sich selber als
Digital Native. Für seine bildungspolitischen Forderungen an das Schweizer
Schulsystem schreibt er einen Listicle: Das Kunstwort aus Liste und englisch
Article ist eine typische Textart der Blogger. Vor acht Jahren tauchten die
ersten Listicles in Online-Nachrichtenportalen auf. Die Botschaft der Textart
ist einfach: Kürze, Prägnanz und Aufmerksamkeit. Formal gibt es drei Listicle-Typen. Die Themen sind jeweils nach Rang, inhaltlich oder nach Einschätzung des
Bloggers aufgelistet. Sobald Listicles mit Quellen versehen sind, darf diese
Form von dialogischem Journalismus in der Digitalisierung ernst
genommen werden. Journalismus müsse heute systematisch über das Zustandekommen seiner
Inhalte informieren, sagt Medienwissenschafter Bernhard Pörksen: „Begreife die
eigene Kommunikation nie als Endpunkt, sondern immer als Anfang und Anstoss von
Dialog und Diskurs“ (B. Pörksen, „Die grosse Gereiztheit – Wege aus der
kollektiven Erregung“, Hanser-Verlag 2018). https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-grosse-gereiztheit/978-3-446-25844-0/
Selbsterkenntnis
Alle sieben
Dinge, die der Autor, Professor Dr. Rudolf Minsch (stv. Vorsitzender der
Geschäftsleitung, Leiter allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung/Chefökonom
economiesuisse) für Schweizer Schulen zusammengestellt hat, sind ohne
Quellenangaben. Zum Beispiel könnte in der Eidgenössischen Kommission für
Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) das „Ding Nummer vier“ grosse Diskussionen auslösen: „Eigenständige
Fortschritte der Schülerinnen und Schüler unterstützen. Lehrkräfte müssen und
können nicht länger überall bessere Kenntnisse haben als die Lernenden. Der
zweckmässige Umgang mit der Digitalisierung im Unterricht erfordert von den
Lehrerinnen und Lehrern also ein Umdenken“, schreibt Professor Dr. Rudolf Minsch.
Chancen für das Schulsystem
Economiesuisse
hat im Februar 2018 ein ganzes Dossier zusammengestellt, mit der Vision, dass die
Schweiz sich als Digitalisierungsgewinnerin profilieren könnte. Die digitale
Entwicklung biete neue Möglichkeiten für den Unterricht, stelle aber auch
grosse Herausforderungen an die Schule. Braucht es eine Bildungsrevolution, um
unsere Kinder und Jugendlichen auf die Zukunft vorzubereiten, fragt sich economiesuisse.
Nur wisse man heute noch nicht, welche Berufe auf dem Arbeitsmarkt in der
Zukunft besonders gefragt sein werden. Wie soll die Schule mit der
Digitalisierung umgehen, solange diese Frage offenbleibt? https://www.economiesuisse.ch/de/dossiers/digitalisierung-herausforderungen-und-chancen-fuer-die-schule
Ab in die Schulbank... „Die Digitalisierung wird jedoch wenig aus der Perspektive der Jungen diskutiert, meist steht der Blickwinkel von Technik und Wirtschaft im Vordergrund“, schreibt die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ). Sie publiziert zum Auftakt ihres 40-jährigen Jubiläums vier Thesen über die politische und gesellschaftliche Debatte (Januar 2018). „In den neuen Lehrplänen (Lehrplan 21 und PER) für die Volksschule ist der Erwerb von Medienkompetenzen und Informatikkenntnissen als Querschnittkompetenz in verschiedenen Schulfächern vorgesehen. Dazu muss jedoch kontinuierlich in die Weiterbildung der Lehrpersonen investiert werden und eine einheitliche Umsetzung ist nötig, damit alle Kinder und Jugendlichen in der Schweiz chancengerecht auf die Herausforderungen der digitalisierten Welt vorbereitet werden“, notiert die EKKJ. Gedanken, Debatten, Meinungen, Thesen und Dinge – damit lässt sich die digitale Transformation kaum bewältigen. Die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigt sich in dieser Frage realitätsnah und untersuchte das Mediennutzungsverhalten von Kindern. https://www.ekkj.admin.ch/fileadmin/user_upload/ekkj/04themen/08Digitalisierung/d_2018_Thesen_EKKJ_Digitalisierung_final.pdf
Tablet – für die Kleinen
Medien,
Interaktion, Kinder Eltern – MIKE, so heisst die Studie, die vor drei Jahren das
erste Mal durchgeführt wurde. Die neusten Resultate wurden am 1. März 2018
bekannt. Nicht weniger als 1128 Kinder zwischen sechs und dreizehn Jahre alt aus
den Sprachregionen (Deutsch, Französisch, Italienisch) wurden zwischen März und
Juni 2017 befragt. 86 Prozent der Kinder nutzen mindestens ab und zu das
Internet. Im Laufe der Primarschulzeit nimmt die Nutzung stark zu. Das Tablet
ist das Lieblingsmedium der Unterstufenkinder. Ein gutes Drittel der Kinder besitzen
ein eigenes Tablet. 76 Prozent der Kinder nutzen mindestens ab und zu ein
Tablet. Das Handy ist das Lieblingsmedium der Primarschulkinder. Vier Fünftel
der Kinder nutzen mindestens ab und zu ein Handy für Games, Musik, das
Anschauen von OnlineVideos und das Senden/Empfangen von Nachrichten. Knapp die
Hälfte der Primarschulkinder haben ein eigenes Gerät. Und 79 Prozent der Kinder
ab 9 Jahren nutzen YouTube mindestens einmal pro Woche.
Der Apfel fällt nicht weit...
Eltern sind
auch in der Digitalisierung immer noch Vorbilder für ihren Nachwuchs – gemäss
der MIKE-Studie. Jüngere Eltern (unter 35 Jahre) nutzen jedoch Computer und
Labtop immer weniger. Sie knipsen mehr Fotos mit dem Handy, holen sich News über
Social Media und lesen kaum Bezahlzeitungen – höchstens eine
Gratiszeitung. Eine digitale Kluft zeichnet sich auch deutlich ab bei Eltern mit
tieferem sozialökonomischen Status, die sich auch auf ihre Kinder
abfärbt.
https://www.zhaw.ch/storage/psychologie/upload/forschung/medienpsychologie/mike/Bericht_MIKE-Studie_2017.pdf
Überschätzte Teenager
Eszter
Hargittai, Professorin am Institut für Kommunikationswissenschaft und
Medienforschung der Universität Zürich, warnt vor Fehleinschätzungen der Internetkompetenz:
„Die Annahme ist falsch, dass junge Menschen, die mit dem Internet gross
geworden sind – so genannte Digital Natives – allein deshalb schon besonders
gewieft im Umgang damit sind. Tatsächlich gibt es aber grosse Unterschiede,
wofür junge Menschen das Internet nutzen, wie sie sich auf sozialen Medien
verhalten und wie stark sie sich in Online-Aktivitäten einbringen. Die zweite
Annahme geht davon aus, dass jüngere Menschen automatisch besser sind im Umgang
mit dem Internet als ältere, von diesen also nichts lernen können. Teenager oder
Menschen in den Zwanzigern kennen sich in der Internet Technologie nicht besser
aus, als jemand, der 35- oder 40-jährig ist.“ Wenn es darum gehe, die
Glaubwürdigkeit von Informationen abzuschätzen, schneiden ältere Personen sogar
besser ab. Jüngere hätten oft wenig Ahnung, wie das Internet als System
funktioniere. Professor Hargittai wünscht sich, dass die Schulen erkennen, wie
wichtig Internetkompetenzen sind. Dabei gehe es auch um ein breiteres
Verständnis der digitalen Welt, was etwa Algorithmen sind, was Daten bedeuten
und wie man damit umgehen kann (Die Wissenschaftszeitschrift UZH Magazin, März
2018).
Der Anstoss für Dialog und Diskurs
Sind wir
bereit für die Zukunft? Das wird sich Professor Dr. Rudolf Minsch von economiesuisse am Kongress #digitale 21 vom 11. bis 13. April in
Lugano fragen. In den drei Tagen wird sich der Diskurs um die Auswirkungen der
Digitalisierung auf Ausbildung, Lernen und Arbeiten im 21. Jahrhundert drehen. Man
kann gespannt darauf sein, wie der Blog vom Wirtschaftsverband nach dem
Kongress aussehen wird – zumindest mit der Maxime „Begreife die eigene
Kommunikation nie als Endpunkt, sondern immer als Anfang und Anstoss von Dialog
und Diskurs...“
https://www.digitale21.ch/
https://www.digitale21.ch/
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