Dr. Franca
Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Der FDP-Nationalrat Thierry Burkart ist zufrieden. 104
bürgerliche Bundesparlamentarier haben seine Initiative unterschrieben. Burkart
will den Arbeitszeitrahmen von 14 auf 17 Stunden erhöhen und gesetzlich regeln.
Die drei zusätzlichen Stunden sollen in Zukunft die Zeitplanung von
Homeoffice-Workern erleichtern. Bürgerliche Nationalräte wollen mit der
lancierten Gesetzesänderung die Vereinbarung von Beruf und Familie verbessern
und den Realitäten anpassen. Gewerkschaften und linke Politiker befürchten jedoch,
dass die Arbeitenden in den eigenen vier Wänden dadurch noch weniger zur Ruhe
kommen. Der Gewerkschaftsbund spricht im Tages-Anzeiger sogar von Wildwest-Verhältnissen
für Homeoffice-Worker.
Wie fit sind
Schweizer Firmen?
Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und
Organisationspsychologie der ETH Zürich, berichtet über die erste
repräsentative Erhebung zur Digitalisierung bei Schweizer Unternehmen. Ihre Arbeitsformen
sind trotz Digitalisierung eher traditionell geblieben:
70 Prozent der befragten Unternehmen bestätigen, dass sie
kein mobiles Arbeiten ermöglichen. 52 Prozent erlauben kein Arbeiten im Homeoffice.
Darum fragt sich Gudela Grote: „Wie viel Veränderung ist schon passiert, und
was muss noch passieren, damit die Schweizer Wirtschaft die Möglichkeiten der
Digitalisierung ausschöpfen und den von der OECD kürzlich diagnostizierten
Produktivitätsverlust auffangen kann?“ Mit den neuen Geschäftsmodellen von Airbnb,
Uber und Bitcoins werden die traditionellen Schweizer Unternehmer noch „das
Fürchten lernen“, schreibt die ETH-Professorin.
Plattformisierung der
Arbeit
Während sich Politiker in Bern über Homeoffice-Worker echauffieren,
tauchen die ersten Gig-Worker am Horizont auf. Sie übernehmen kleine und
grössere Aufträge, die kurzfristig vergeben werden. Von der klassischen
Freiberuflichkeit unterscheidet sich die sogenannte Gig Economy dadurch, dass
eine Onlineplattform zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vermittelt. Die
Plattform kassiert eine Provision und diktiert dafür auch noch die Spielregeln.
In der Gig Economy existieren keine langfristigen Festanstellungen, was global
tätigen Fachkräften entgegenkommt. Zu den grossen Verlierern gehören Menschen, die
aus dem klassischen Arbeitsmarkt ausgeschieden sind. Diese Kategorie der Gig-Worker
hangelt sich von Auftrag zu Auftrag, stets bemüht keinem Sozialwerk
verpflichtet zu sein und das Gesicht zu wahren. Die grosse Frage: Werden viele Gig-Worker
im Prekariat landen? Die Vermittlungsplattformen sind derzeit mit zunehmender
Regulierung konfrontiert. Es besteht also eine gewisse Hoffnung, dass sich
soziale Sicherungs- und Schutzmechanismen aus den traditionellen Arbeitsmodellen
des 19. Jahrhunderts auf Gig Economy übertragen werden. Infolge der dezentralen
Arbeitsplätze ist es jedoch kaum möglich, eine Gewerkschaft im Klassischen Sinn
zu organisieren – das müssten die Gig-Worker selber in sozialen Medien
übernehmen.
„Hinterher hinkendes
Arbeitsrecht“
„Es steigt also der Anteil derjenigen Personen, die
unternehmerisch handeln müssen, um ihr Auskommen zu verdienen“, schreibt Jens
O. Meissner, Professor für Organisationales Resilienzmanagement, im
SAGW-Bulletin 4/2017. Er studiert die Psyche des Menschen, wie er mit widrigen
Umständen und Situationen umgeht und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Mit Optimismus, Beziehungen und Lösungsorientierung lassen sich Krisen
überwinden und im besten Fall sogar daran wachsen. Aktuell in der
Digitalisierung sind beim hochflexiblen Arbeiten Einkommen und
Beschäftigungslage nicht mehr verlässlich kalkulierbar. Diese Art der
Selbständigkeit verlange nach Eigenverantwortung und Verhandlungskompetenz: „Gut
ausgebildete und selbständig Handelnde vermögen aufgrund ihres gesuchten
Profils ihre finanziellen Ansprüche und Arbeitsbedingungen gegenüber Mandanten
durchaus durchzusetzen. Geringqualifizierte können hier in eine gefährliche
Abwärtsspirale aus beruflicher Unsicherheit und einbrechendem Einkommen geraten“,
schreibt Professor Meissner. Je mehr sich Produktlebenszyklen im globalisierten
Wettbewerb verkürzen, desto geringer ist die soziale Zuverlässigkeit von den Arbeitgebern.
Auch Meissner sieht Handlungsbedarf für angepasste Gesetze und Verordnungen in
der Arbeitswelt.
Heimarbeit 1983
Wer sich für die historische Entwicklung der Heimarbeit
interessiert, der findet im Schweizerischen Sozialarchiv überraschende
Antworten: Die Textilindustrie setzte einst voll auf Heimarbeit. Eine Reportage
von 1983 dokumentiert, wie sich eine teilautonome Heimarbeitsgruppe in Surin
(GR), 200 Kilometer vom Arbeitgeber entfernt, organisierte. Der Film zeigt die
Anstellungs- und Arbeitsbedingungen der Näherinnen als Akkordarbeiterinnen. Der
Arbeitgeber berichtet von den Vorteilen der Heimarbeit als zukunftsträchtiges
Modell. Und die Gruppenleiterin erzählt über ihre Gründung der
Heimarbeitsgruppe mit Unterstützung der Schweizerischen Zentralstelle für
Heimarbeit. Der Film endet in Minneapolis USA – wie sich die neue IT-Technologie
auf Heimarbeit verlässt.
Vieles anders und
doch gleich...
Der Beschäftigungsgrad ist so hoch wie lange nicht mehr in
der Schweiz. Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und
Organisationspsychologie der ETH Zürich fragt sich: „Ist also alle Aufregung um
die Digitalisierung viel Lärm um nichts?“ Sie warnt in der Beschleunigung der
digitalisierten Welt nicht nur auf Innovationen der Mitstreiter zu reagieren. „Statt
Mitarbeitenden durch vage Ankündigungen grosser Veränderungen Bange zu machen,
gilt es, sie aktiv an der Gestaltung des digitalen Wandels zu beteiligen,“ schreibt
Gudela Grote in der NZZ. Aus dem gleichen Grund organisieren die Akademien der
Wissenschaften Schweiz den Kongress #digitale21
vom 11. bis 13 April in Lugano. Verlangt wird an der Veranstaltung ein fairer
Dialog zwischen öffentlichen wie auch privaten Akteuren aus Wissenschaft,
Bildung und Wirtschaft. Diese Plattform soll der Übergang zur Digitalisierung erleichtern
und Empfehlungen entwickeln, beispielsweise auch wie sich Kooperationen und
zukünftige Projekte für Gesellschaft und Wissenschaft etablieren könnten – dazu
zählen auch neue Arbeitsmodelle.
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Übrigens! Dieser
Blog wurde im Homeoffice geschrieben...
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