Wie Journalisten zu Informationsfischer werden – und untergehen

Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Digital first! In der Schweiz informieren sich bereits 41 Prozent der Bevölkerung hauptsächlich über Newssites oder Social Media. Am 23. Oktober haben Wissenschaftler des Forschungsinstitutes Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich ihre neusten Befunde in Bern präsentiert. Seit acht Jahren observieren sie Medien und ihre Auswirkung auf die Gesellschaft und publizieren jeweils ihre Erkenntnisse in einem Jahrbuch (Schwabe Verlag). So ist es jetzt nach fög wissenschaftlich erwiesen, dass der Schweizer Markt für digitale News hoch konzentriert ist.
 https://www.foeg.uzh.ch/de/jahrbuch.html

Droge „News“
Es ist auch unbestritten, dass sich die Schweizer Bevölkerung im Zeitalter der schnellen Kommunikation und Informationsflut zum News-Junkie entwickelt hat. Bereits 40 Prozent der 18- bis 24-Jährigen wählt für ihren Newskonsum Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen, dabei verschmähen sie zunehmend die herkömmlichen Medienmarken. Kurz gesagt, es ist den jüngeren Newskonsumenten wurst, ob die Meldung von NZZ, Blick oder 20-Minuten stammt. Darum spricht fög in seiner Studie auch von einer Plattformisierung, die den professionellen Journalismus unter Druck setzt.

Untreu und alles gratis
Den Online-Lesermarkt kontrollieren in unserem Land nur wenige Medienhäuser, die sich den Unterhalt einer Newssite leisten wollen oder können: In der Deutschschweiz sind es Tamedia AG, Ringier AG und SRG SSR mit einem Anteil von 71 Prozent. Mit 88 Prozent bestimmen in der Suisse romande die Tamedia, SRG SSR und Swisscom den Onlinemarkt – im Tessin mit 88 Prozent Ticinoonline, Società Editrice del Corriere del Ticino und SRG SSR. Diese Medienhäuser erkennen, dass ihr Geschäft zunehmend ins Internet abwandert. Viele LeserInnen sind ihnen weniger treu und seltener bereit, professionelle Inhalte zu berappen. Nur 11 Prozent der Schweizer Mediennutzer haben letztes Jahr für Online-News bezahlt.

Keine Informationsdienstleistung
In der Informationsflut fragt man sich mit den vielen „Real-Time-News“, wo der praktische Nutzen bleibt. Wie schnell und stetig muss alles aktualisiert werden, damit der moderne Mensch informiert ist? Beispiel am 23.10.2017 Ausland-News von 20-Minuten: „Ups – Macrons Hund pinkelt ans Cheminée – Frankreichs Präsident ist mitten im Gespräch, als «First Dog» Nemo die Aufmerksamkeit auf sich zieht – mit einem plätschernden Geräusch“.
Im Grunde geht es auch im Zeitalter der Digitalisierung immer noch darum, dass im Journalismus nicht alles einfach wiedergegeben wird, sondern JournalistInnen Themen aufbereiten, etwa in einen neuen Kontext stellen, vergleichen, abwägen und in einer verständlichen Art für ein breites Publikum darstellen. Gedankenanregende Geschichten passen als publizistisches Format auch ins Internet und nicht nur gedruckt in die Feuilleton-Rubrik.

Wenn Gedanken zu Abfall werden
Unbestritten ist auch, dass die Produktion von gedankenanregenden Artikeln mehr Zeit braucht, als eine Meldung über den „First Dog“ Frankreichs. Der Merksatz „Zeit ist Geld“ stammt nicht aus der Digitalisierung, sondern ist eine Plattitüde von Benjamin Franklin. Im Jahr 1748 schrieb er einen Ratgeber für junge Kaufleute. Eine gründliche Recherche für einen gedankenanregenden Text kostet Geld und das geht der Branche langsam aus. Ihre Prognose ist teilweise düster, Redaktionen werden zusammengelegt, Budgets gekürzt und Stellen gestrichen. Der „Rückbau“ wird geschickt vertuscht – Kündigungen lassen sich auch häppchenweise organisieren. Medienökonomen durchforsten Personallisten, besonders die kostenintensiven Ressorts sind im Fokus. Der „Output“ des Journalisten und sein Alter sind weitere Faktoren – und die Chemie zwischen ihm und dem Chef muss stimmen. Welche Mächte bei der Entlassung des NZZ-Feuilleton-Redaktors Uwe Justus Wenzel gewirkt haben, darüber kann nur spekuliert werden, was jedoch eine Protestwelle von engagierten Geisteswissenschaftlern auslöste. Auch Thomas Maissen, Leiter des Deutschen Historischen Instituts Paris, schreibt für die NZZ und hat den Protestbrief unterzeichnet. Ein Mandat, auf die Anfrage von persönlich.com zu antworten, habe er nicht: «Bedauern und Verständnislosigkeit über Wenzels Entlassung haben zu einer intensiven Maildiskussion der Angeschriebenen geführt», sagt Maissen. Das Resultat war ein kritisches Schreiben an die NZZ-Spitze.

Blauer Brief nach 30 Jahren
„Dieses Mass an Solidarität wünscht sich wohl jeder Angestellte. Als die NZZ kürzlich einem Feuilleton-Redaktor gekündigt hat, der knapp 30 Jahre für die Zeitung gearbeitet hatte, bekamen seine Vorgesetzten Post der besonderen Art. 69 Geisteswissenschaftler, fast alle Professoren aus dem deutschsprachigen Raum, wandten sich vergangene Woche in einem Brief an den Verwaltungsrat der Zeitung, an Chefredaktor Eric Gujer sowie an Feuilleton-Chef René Scheu“, berichtet auch der Tages-Anzeiger über den Fall (20.10.2017). Die Geisteswissenschaftler unterstreichen, dass der Betroffene «zu jung für eine Frührente, aber voraussichtlich zu alt für eine neue Stelle anderswo» sei. Und sie würden die personellen Veränderungen politisch deuten, als «Öffnung am rechten Rand des Liberalismus oder hin zu einem bemüht unkonventionellen Libertarismus». Die Tages-Anzeiger Redaktoren sind selber im Tsunami einer Strukturreform. Im vergangenen August hat der Medienkonzern Tamedia angekündigt, seine Zeitungsredaktion neu aufzustellen. Ab 2018 sollen zwei überregionale Redaktionen als Kompetenzzentren in der Deutsch- und der Westschweiz den Mantel für verschiedene Zeitungen liefern. „Laut Tamedia sind bis zur Einführung am 1. Januar 2018 keine Kündigungen vorgesehen“, schreibt persönlich.com zur aktuellen Strukturkrise.

Andere Formen der Öffentlichkeit
„Die Strukturkrise im professionellen Journalismus begünstigt das Entstehen kontrovers diskutierter alternativer Medien, die sich in unmittelbarer Opposition zu den etablierten Informationsmedien positionieren“, das ist ein weiterer Befund in der fög-Studie. Die Autoren loben jedoch die zunehmende Qualität der Newssite der Abonnementspresse wie auch der Pendlerzeitungen. „Das hohe Vertrauen in professionelle Medien schränken die Verbreitung von alternativen Medien in der Schweiz derzeit noch ein.“ Der digitale Strukturwandel ermöglicht neue Formen der Öffentlichkeit und senkt die Hürde für andere Informationsangebote. Es bleibt zu hoffen, dass sich fög von Reichweiten und etablierten Konzernen nicht blenden lässt und im Jahrbuch 2018 ein Auge auf die „neuen Wilden im Netz“ hat. Das war auch damals der kapitale Fehler der Verleger, als sie die verrückten Jungs im Silicon Valley lange Zeit ignorierten. In den frühen 1970er Jahren galten Computer noch als Insignien der Macht für Konzerne, Banken und Regierungen. Einige Freaks träumten davon, dass jeder, der es wollte einen Computer besitzt. Diese Technologie sahen sie als Mittel, um die Welt zu verbessern, es ging ihnen letztlich um Selbstbestimmung, Befreiung und Freiheit. Um was geht es heute?


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