Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Age-Shaming, New-Age, doing Age, Best Ager und age-friendly
Cities... könnte die Sprachverwirrung am Turmbau zu Babel etwa auch zum Sinnbild
für die neue Kultur des Alterns werden? Tatsache ist, dass die zwischen 1946 und
1964 Geborenen die demografische Entwicklung der Schweiz in den nächsten Jahren
dominieren werden. Diese geburtenstarke Kohorte gibt sich mit den gängigen Stereotypen
des Alterns keineswegs zufrieden. Eine soziokulturelle Verjüngung ist schon
jetzt beobachtbar und widerspricht Negativszenarien, die eine Vergreisung der
Gesellschaft ankündigen. Auf der Suche nach einem guten Leben sorgen die neuen,
fitten oder zukünftigen „Best Ager“ für eine gesellschaftliche Debatte, welche
auch die Wissenschaft in allen Disziplinen beschäftigt.
Altern gehört zum
Leben
Wie im Alten Testament leiden im Age-Babylon auch Menschen an
Selbstüberhöhung: So haben sich die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin das
Ziel gesetzt, den Tod zu überwinden (siehe NZZ am Sonntag, 10.9.2017). Bis
jetzt lässt sich jedoch das biologische Altern nicht stoppen, obwohl schon Milliarden
an Forschungsgeldern investiert wurden. Den Biotechnologen kommt das
soziologische Alter in die Quere: Die Lebenserwartung ist auch vom sozialen
Status und der Bildung abhängig. Im European Observatory (2015) des Gesundheitssystems
liess sich aufzeigen, dass Männer in der Schweiz mit einer Volksschulausbildung
fünf Jahre weniger lang leben als mit einer tertiären Ausbildung. Nicht nur die
21 Chromosomen beeinflussen das Altern, sondern wer ohne Anerkennung, Respekt und
fremdbestimmt leben muss, der altert schneller. Folgerichtig ist eine Altersforschung
in den Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften besonders gefragt – siehe
Dossier im SAGW-Bulletin 1/16 „Gesund altern in der Schweiz“.
https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/google-spielt-gott-unsterblichkeit-ewiges-leben-alphabet-ld.1315318
«a+ Platform Ageing
Society» vernetzt Wissen für alternde Gesellschaft
Für einen inter- und transdisziplinären Wissensaustausch lancieren
die Akademien der Wissenschaften Schweiz zusammen mit der Akademie der Geistes-
und Sozialwissenschaften eine Internet-Plattform. Seit dem 13. September ist die
Webseite mit 29 Partnern und weiteren Stakeholdern aufgeschaltet. Damit sichert
sie nicht nur den Überblick, sondern auch den Zugang zu aktuellen
Informationen, Studien und partizipiert an dem Globalen Strategie- und
Handlungsplan zum gesunden Altern der Weltgesundheitsorganisation WHO:
Eine unheilige
Debatte
„Soziale Stellung und Ansehen alter Menschen wurden im
christlichen Europa – im Vergleich zu vielen aussereuropäischen Kulturen –
durch zwei kulturelle Besonderheiten geschwächt: Zum einen schloss die
christliche Religion Ahnenverehrung und Ahnenkult aus, was Ansehen und Stellung
alter Familienmitglieder verringerte“, schreibt der Soziologe François
Höpflinger im Sammelband „Kulturen des Alterns“ (vgl. Höpflinger, Hrsg.
Zimmermann et al., 2016, Campus Verlag). Zum anderen praktizierte die Kirche
eine Aufwertung der Ehe und zugleich eine Abwertung der Sippenregeln. Mit dem
Durchbruch der Industrialisierung und der Schaffung der Sozialwerke wurde die
Stellung alter Menschen in der Gesellschaft noch schlechter. Aktuell verstärkt
sich mit der Schieflage der AHV und der kommenden Abstimmung eine Debatte
zwischen den Generationen. Die junge FDP-Präsidentin Petra Gössi schnödet über
Senioren, die ihre Rente im Ausland verjubeln. Verursachen alte Menschen nur
noch Kosten?
Das Alter im Witz
Im Sammelband „Kulturen des Alterns – Plädoyers für ein gutes Leben bis ins hohe Alter“ (Campus Verlag) haben 29 Wissenschafter aus unterschiedlichen Disziplinen ihre Gedanken und Erfahrungen publiziert. Die Geisteswissenschafterin und Medizinerin Franziska Polanski machte eine empirische Studie über Altersbilder in Karikaturen und findet im Bilderwitz längst überholt geglaubte Altersstereotypen. Negative Altersbilder haben sogar in den letzten Jahren in Karikaturen zugenommen. Beweist der Anstieg von einseitig defizitären Darstellungen des Alters eine Gegenreaktion auf das neue Leitbild vom aktiven „Alten“, fragt sich Franziska Polanski (vgl Polanski, Hrsg. Zimmermann et al., 2016, Campus Verlag).
Im Sammelband „Kulturen des Alterns – Plädoyers für ein gutes Leben bis ins hohe Alter“ (Campus Verlag) haben 29 Wissenschafter aus unterschiedlichen Disziplinen ihre Gedanken und Erfahrungen publiziert. Die Geisteswissenschafterin und Medizinerin Franziska Polanski machte eine empirische Studie über Altersbilder in Karikaturen und findet im Bilderwitz längst überholt geglaubte Altersstereotypen. Negative Altersbilder haben sogar in den letzten Jahren in Karikaturen zugenommen. Beweist der Anstieg von einseitig defizitären Darstellungen des Alters eine Gegenreaktion auf das neue Leitbild vom aktiven „Alten“, fragt sich Franziska Polanski (vgl Polanski, Hrsg. Zimmermann et al., 2016, Campus Verlag).
Age-Shaming
«Ich schwamm mit einem 80-jährigen Mann über einen See und
hatte Mühe mitzuhalten, ich rannte mit einer 86-jährigen Frau durch den Wald,
und das lauteste Schnauben auf der Kamera war meines», sagt der 29-jährige
Regisseur des neuen Schweizer Films «Aktiv ins Alter». Manuel Schweizer erzählt
die Geschichten von Menschen, die das Leben mit Leidenschaft angehen und das tun,
was sie glücklich macht. Schweizers Protagonisten im Film leiden nicht am so genannten
Age-Shaming und ignorieren ihr biologisches Alter. Die Schönheitsmediziner jedoch
profitieren vom Age-Shaming und haben sich auf Falten, Furchen, Altersflecken
und Hängebusen spezialisiert. Diese Mediziner machen sich im Geschäft mit der
Schönheit wenig aus Krankenkassentarifen und ethischen Fragen: Es gilt der
Wunsch der Klienten nach jungem Aussehen.
Doing Age
Esther Gajek der deutschen Universität Regensburg hat anhand
von Seniorenprogrammen in deutschen Museen aufgezeigt, wie die über 65-Jährigen
als senil abgestempelt werden und damit das defizitäre Bild des geistigen
Potentials im Alter zementieren. Demzufolge fordert Esther Gajek eine differenzierte
Museumspädagogik: „Alter ist kein Schicksal, sondern wird gesellschaftlich
konstruiert“, schreibt die Kulturwissenschafterin (vgl.Gajek, Hrsg. Zimmermann
et al., 2016, Campus Verlag).
Age-Friendly
Was geht in einer alternden Gesellschaft vor, fragt sich auch
der Soziologe Klaus R. Schroeter (vgl.Gajek, Hrsg. Zimmermann et al., 2016,
Campus Verlag). Das Alter ist nicht mehr grau, sondern bunt und schillernd
geworden. Das Alter ist auch nicht mehr Schicksal, sondern eine zu bewältigende
Aufgabe in der dritten Lebenszeit. Ein „Alterskraftunternehmer“ muss sich als „Ich-AG“
in Eigenregie verwalten. Wohnt er in einer age-friendly City ist ihm der Weg offen
für ein gelindes Altern. Als altersfreundlicher Ort hat Riehen bei Basel Modellcharakter.
In der wohlhabenden Gemeinde ist jeder dritte Einwohner über 65 Jahre alt,
entsprechend hat sich die Infrastruktur angepasst. Der Karikaturist Felix Schaad
illustrierte im Tages-Anzeiger (24.7.2017) die Rushhour in „Geriat-Riehen“ mit Rollator,
Rollstuhl, Nordic Walking Stock und E-Bike...
-->
Kommentare