Treppauf, treppab – das Regime von Ranking

Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften

Bei der Projektierung des eidgenössischen Polytechnikums in Zürich haben die Gründer bzw. Alfred Escher und seine Mitstreiter in den 1850er-Jahren europäische Schulen evaluiert und sich so beim Aufbau inspirieren lassen. Daher gehören Hochschulvergleiche zur Geschichte der ETH, damals ging es jedoch nur um qualitative Beschreibungen. Im 21. Jahrhundert gelten für Hochschulen dank der Digitalisierung gleiche Ranglisten, wie etwa die Hitparaden der Musikbranche. Im Jahr 2003 sagte Olaf Kübler, der damalige ETH-Präsident, der NZZ am Sonntag, dass sich die ETH zur Maxime gemacht habe, Rankings nicht für Eigenwerbung zu benutzen – „selbst wenn sie für uns vorteilhaft sind“. Im Jahr 2017 haben Rankings auf der ETH-Homepage eine eigene Rubrik: Academic Ranking of the World Universities, Shanghai Jiao Tong University; THE – World University Ranking, Times Higher Education und QS – World University Rankings, Quacquarelli Symonds Ltd ARWU. Die Bemerkung am Schluss der Rubrik liest sich wie die Packungsbeilage eines Arzneimittels: „Hochschulrankings sind eine Konsequenz der Globalisierung des universitären Bildungswesens und bieten nützliche Entscheidungsgrundlagen. Je nach Methode, Ausrichtung und Wahl der Fachbereiche variieren sie allerdings stark und sind bei der Beurteilung der Qualität einer Hochschule mit Bedacht zu interpretieren.“


Konkurrenz ist nicht neu, sondern hat neue Dimensionen
Vorhandene Rangdistanzen werden in einem Ranking jeweils kaum beachtet, warnt der Makrosoziologe Steffen Mau („Das metrische Wir“). Es wird eine Elite inspiziert und nicht die Breite der Bildungseinrichtungen des tertiären Sektors. Zumal auch die freie Verfügbarkeit eines riesigen Datenbestandes im Netz ständig neue Informationen für Macher und Rating-Agenturen nachliefert. Oft geht es ihnen nicht nur um Anerkennung, sondern darum sogenannte „Absteiger“ anzuprangern: Blaming and Shaming. Rankings verleihen auch nicht nur Reputationskapital, sie beeinflussen sehr subtil die Strukturen der Organisation. Entscheidungsprozesse über Strategien lassen sich innerhalb von Universitäten mit Rankings justieren. Eine Fallstudie analysiert gar das Phänomen der „kollektiven Psyche“ in einer Universität (vgl. Steffen Mau, Seite 87).

„Looking good“ statt „Beeing good“
Das Ur-Ranking stammt von der einst unbekannten Shanghaier Jiatong-Universität. Sie prüften im Jahr 2003 auf der Basis von wenigen Indikatoren tausend Hochschulen. Für jeden Indikator bekommt die beste Hochschule den Wert 100, geprüft wird die sogenannte Qualität der Ausbildung anhand der Anzahl von Ehemaligen, die einen Nobelpreis bekommen haben. Auch die Qualität des Personals bzw. wie häufig die Forschenden zitiert werden ist ein Indikator. Die Grösse der Institution spielt eine Rolle und ihre Forschungsleistung. Die Quelle für den letzten Indikator bezieht sich auf die Statistik von Thomson Reuters. Der US-Medienkonzern wertet auserlesene Zeitschriften aus – etwa Nature und Science, sowie Web of Science. Von den überprüften 1000 Hochschulen schaffen es 500 auf die begehrte Liste, obwohl es weltweit 16'000 Universitäten gibt. Mit der schon vorhandenen Reputationshierarchie werden Jahr für Jahr neue Rankings reproduziert (vgl. Mau, Seite 90). Aktuelle Erfolgsmeldungen über Schweizer Universität lassen sich oft kaum durch Leistungssteigerungen erklären, sondern durch veränderte Strategien der Datenaufbereitung der jeweiligen Ranking-Agenturen. Das Regime der Ratings und Rankings trete im Gewand der objektiven Berichterstattung auf (vgl. Mau Seite 72).

Sind nur drei Schweizer Universitäten top?
In Sachen Innovationskraft sind Schweizer Institute top, schreibt NZZ Online (09.08.2017). Darum profitiert die Wirtschaft von der Forschung an Universitäten. Die Unternehmen brüsten sich mit ihren Innovationen, dabei geht oft vergessen, dass die Ergebnisse aus universitärer Forschung stammen, die in Patenten zitiert werden. Der Nature-Verlag hat auf der Basis von Fachartikeln einen Innovationsindex veröffentlicht: Die ersten drei Ränge besetzen die US-Amerikaner selber, auf Rang 21 folgt die Universität Genf. Zürich erreicht Platz 34, die Universität Basel 61. Die ETH Lausanne liegt mit Rang 41 vor Zürich mit Platz 57.

Die Inzucht der Wissenschaftsverlage
Matthias Egger, Präsident des Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) wünscht sich einen Kulturwandel in der Wissenschaft. Sorgen bereiten ihm die Wissenschaftsverlage: „Die Macht, die sie über die Wissenschaft haben, ist unglaublich. Und das ist schlecht,“ sagt Matthias Egger (gelesen im Tages-Anzeiger 15.08.2017). Die Publikationsliste bestimmt heute, ob ein Forscher Karriere macht oder nicht. In der globalisierten Wissenschaftscommunity sind jedoch nur wenige Luxusjournale wie „Nature“ oder „Science“ massgebend. Also sind es wieder exakt die gleichen Fachjournale, wie sie auch im Rankingspiel von Shanghai oder im Innovationsindex verwendet werden.

Kollektive Psyche
Lino Guzzella, der ETH-Präsident, fragt sich im Interview mit dem Tages-Anzeiger (19.08.2017), was die ETH von Silicon Valley lernen kann. Es fehle uns in der Schweiz der Glaube, dass wir die Welt verändern können. „Dieser Optimismus und die Bereitschaft, Fehler zu machen und zu scheitern, müssen wir unbedingt in die Schweiz bringen“. Es gebe bei uns 100 Gründe etwas nicht zu tun. Im Silicon Valley heisse es – versuchen wir es. Guzzella vergleicht diese Offenheit des Geistes sogar mit der Flower-Power-Bewegung. „Im Summer of Love von 1968 war alles möglich. Diesen Geist sollen wir hinbekommen in der Schweiz. Wenn wir es nicht versuchen, werden wir garantiert scheitern,“ betont ETH-Präsident Guzzella. Eine öffentliche, aber auch kritische Debatte um die Digitalisierung begrüsst er. Interessant ist, dass er in seinen Ausführungen zur Digitalisierung meistens von Programmierer und Datenwissenschaftler spricht. Was ist mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Quantifizierung des Sozialen? Was im Jahr 2003 an der ETH noch verpönt war – „Eigenwerbung mit Ranking“ – hat heute auf ihrer Homepage eine eigene Rubrik. Manifestiert diese Rubrik „Ranking“ etwa auch die Auswirkung des globalen Ranking-Regimes auf die kollektive Psyche der Bildungsinstitution in Zürich?

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