Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie in Berlin, gehört zur Generation X – geboren im Jahr 1968. Als «Digital Immigrant» lernte er erst als Erwachsener die Digitalisierung kennen, im Gegensatz etwa zu den „Digital Natives“, der Generation Y. Der Deutsche Makrosoziologe Mau interessiert sich für die Auswirkung der Digitalisierung auf die Gesellschaft und hat darüber ein 286 Seiten starkes Buch geschrieben: „Das metrische Wir – Über die Quantifizierung des Sozialen (Edition Suhrkamp 2017).
Eine Problemzone des metrischen Wirs
Krankenakten dokumentieren das „heilige“ Arztgeheimnis zwischen Arzt und Patient. Mit der Digitalisierung der Akten werden jedoch vertrauliche Daten für einen grösseren Personenkreis zugänglich und säkularisieren damit das Arztgeheimnis. „Sogenannte Gesundheitscores, Skalen- und Punktesysteme der Bewertung des individuellen Gesundheitszustandes gewinnen zunehmend an Bedeutung – bei Krankenkassen, im betrieblichen Gesundheitsmanagement oder in Eigenregie vorgenommenen Therapien sowie beim individuellen Gesundheitsmonitoring“, schreibt Steffen Mau (Seite 115). Gesundheit und gute Konstitution als höchstes Gut des Menschen bekommen durch die Digitalisierung einen kompetitiven Charakter: Mit Aktivität und Fitness bleibt man gesellschaftsfähig, wird nicht zur Belastung für die Allgemeinheit bzw. für das Budget der Kassen. Ganz im Zeitgeist der Digitalisierung lancieren jetzt auch Schweizer Krankenkassen erste Active Apps zum individuellen Gesundheitsmonitoring mit einem Bonussystem als Anreiz für körperliche Anstrengung und Schweiss.
Krankenakten dokumentieren das „heilige“ Arztgeheimnis zwischen Arzt und Patient. Mit der Digitalisierung der Akten werden jedoch vertrauliche Daten für einen grösseren Personenkreis zugänglich und säkularisieren damit das Arztgeheimnis. „Sogenannte Gesundheitscores, Skalen- und Punktesysteme der Bewertung des individuellen Gesundheitszustandes gewinnen zunehmend an Bedeutung – bei Krankenkassen, im betrieblichen Gesundheitsmanagement oder in Eigenregie vorgenommenen Therapien sowie beim individuellen Gesundheitsmonitoring“, schreibt Steffen Mau (Seite 115). Gesundheit und gute Konstitution als höchstes Gut des Menschen bekommen durch die Digitalisierung einen kompetitiven Charakter: Mit Aktivität und Fitness bleibt man gesellschaftsfähig, wird nicht zur Belastung für die Allgemeinheit bzw. für das Budget der Kassen. Ganz im Zeitgeist der Digitalisierung lancieren jetzt auch Schweizer Krankenkassen erste Active Apps zum individuellen Gesundheitsmonitoring mit einem Bonussystem als Anreiz für körperliche Anstrengung und Schweiss.
Krankenkassen ködern fitte Kunden
Wer sich
bewegt, ist gesünder und erzeugt weniger Kosten, so verhält sich heute ein idealer
Kunde einer Krankenkasse. Die Active App der Sanitas misst beispielsweise, wer
mit dem Velo zur Arbeit fährt oder am Wochenende wandert, zu gewinnen sind 120 Franken
pro Jahr. Die CSS belohnt ihre Kunden für 10’000 Schritte am Tag mit einer
Entschädigung von maximal 146 Franken pro Jahr, plus 350 Franken Vergütung für
die Mitgliedschaft in einem Fitnessclub. Die NZZ am Sonntag (13.08.2017) hat
aufgelistet, welche Kassen wieviel bieten – vom Prämienrabatt bis zum Zuschuss
fürs Fitness-Abonnement.
Datenmanager Staat
Für die „Regierungskunst“
ist die Digitalisierung mit der Erfassung von Big Data essentiell geworden –
ohne statistisches Amt wäre Bundesbern wohl aufgeschmissen. „Der Staat als
Körper, der sich aus unzähligen Einzelwesen zusammensetzt, ist ein klassischer
Bestandteil der dazugehörigen politischen Metaphorik“, schreibt Makrosoziologe
Steffen Mau (Seite 35). Aus den statistischen Daten informieren sich Politiker
wie der Staat regulierend eingreifen kann. Mit dieser Zahlensprache ist auch die
Bevölkerung lesbar bzw. einschätzbar geworden – Alter, Geschlecht, Bildung,
sozialer Status, wie und wo wird gewohnt, welche kulturelle Vorlieben, wie und
wann wird gestorben usw. Die numerische Abbildung der Realität in unserem Land ist
Grundlage, wie auch Legitimierung für Strategien von Behörde und Politik. Mit
der arithmetischen Vereinfachung von komplexen Themen lassen sich die Politiker
zu Numerokraten disziplinieren. In der Datenflut mit Blick auf Zahlen übersehen
sie dabei die latente Gefahr, dass auch im Binärcode ein Schwarzweiss-Denken schlummert.
Ist das der neue idealtypische Politiker, welcher sich durch Big Data beeindrucken
lässt und mit einer buchhalterischen Exaktheit den Status Quo in unserer
Gesellschaft anstrebt? „Die Schweiz als innovative Volkswirtschaft nutzt die
Chancen der Digitalisierung für Wachstum und sichert damit den Wohlstand“, lautet
ein Kernziel des Bundesrates für die „Digitale Schweiz“ (Blog „Der digitale
Kick“: http://wissenschaftskultur.blogspot.ch/ ).Wo bleiben in der digitalen
Revolution Schweizer Politiker mit klaren Zukunftsbildern? Visionär denken und
dabei pragmatisch handeln, gepaart mit Zivilcourage – nur so wird die Demokratie
lebendig bleiben. Die Diagnose des Soziologen Max Weber mit dem „stahlharten
Gehäuse der Hörigkeit“, welches der Menschheit ihre Freiheit raubt, markiert aktuelle
Tendenzen (Max Weber 1904, „Die protestantische Ethik und der Geist des
Kapitalismus.“): Webers Warnung vor einer erstarrenden Bürokratisierung, jetzt im
Gehäuse der Digitalisierung, ist noch nicht vom Tisch.
Zahlen sind mehr als nur Mathematik
Gelesen in der NZZ 11.08.2017: „Laut der gängigen, simplifizierenden Statistik beziehen in der Schweiz drei Prozent der Bevölkerung Sozialhilfe. Tatsächlich sind es zehn Prozent. Die Studie des Bundesamtes für Statistik zeigt grosse kantonale Unterschiede auf.“ Sobald die AHV- und IV-Renten den Existenzbedarf nicht decken, werden gemäss Bundesgesetz Ergänzungsleistungen ausbezahlt, dabei haben Kantone wenig Spielraum – trotzdem sind die Beträge unterschiedlich. „Die Statistiker des Bundes können die Unterschiede nicht erklären“, gemäss der NZZ. Datenmanager Staat wird sich mit dieser Erklärung kaum zufriedengeben. Es wird dem Staat gelingen, die kantonalen Unterschiede zu bereinigen bzw. mit der Quantifizierung des Sozialen, ein neues Register der Ungleichheit zu eröffnen. Nach Steffen Mau, produziert das Verfahren „Vergleichen und Messen“ systematische Fehler, die nie eine Wirklichkeit abbilden können: Hinter jeder Zahl steht immer eine Wertzuweisung.
Gelesen in der NZZ 11.08.2017: „Laut der gängigen, simplifizierenden Statistik beziehen in der Schweiz drei Prozent der Bevölkerung Sozialhilfe. Tatsächlich sind es zehn Prozent. Die Studie des Bundesamtes für Statistik zeigt grosse kantonale Unterschiede auf.“ Sobald die AHV- und IV-Renten den Existenzbedarf nicht decken, werden gemäss Bundesgesetz Ergänzungsleistungen ausbezahlt, dabei haben Kantone wenig Spielraum – trotzdem sind die Beträge unterschiedlich. „Die Statistiker des Bundes können die Unterschiede nicht erklären“, gemäss der NZZ. Datenmanager Staat wird sich mit dieser Erklärung kaum zufriedengeben. Es wird dem Staat gelingen, die kantonalen Unterschiede zu bereinigen bzw. mit der Quantifizierung des Sozialen, ein neues Register der Ungleichheit zu eröffnen. Nach Steffen Mau, produziert das Verfahren „Vergleichen und Messen“ systematische Fehler, die nie eine Wirklichkeit abbilden können: Hinter jeder Zahl steht immer eine Wertzuweisung.
Vermessung der Gesellschaft
Mit der
Entstehung der Sozialversicherungen im 19. und 20. Jahrhundert bekam die
Sozialforschung eine Schlüsselrolle in der Gesellschaft. Damals wurde
realisiert, dass der Blick auf Daten der Individuen auch den Blick auf die
Gesellschaft verändert: Mit Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung konnte
man aufzeigen, dass etwa Krankheiten nicht als Einzelfall, sondern als
Regelmässigkeit angesehen wird, und darum die Verantwortung nicht allein auf
den einzelnen Menschen abgeschoben werden kann. In der digitalisierten
Gesellschaft sind jetzt Daten und Statistiken unwiderruflich zur Leitwährung
geworden. Big Datas werden jedoch nie Realitäten abbilden können, sondern sind
selektive Konstruktionen, welche neue Wirklichkeiten erzeugen. Steffen Mau
schreibt: „Daten legen nahe, wie Dinge zu sehen sind, und schliessen damit
andere Sichtweisen aus...“ (Seite 30).
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