Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Die
Vorstellung, dass ein Archiv ein modrig riechendes Kellerloch vollgestopft mit
Akten sei, die keinen Menschen interessieren, ist spätestens seit der
Digitalisierung passé. Zumal Archive, dazu gehören auch Bibliotheken, ihre
Bestände schon im vordigitalen Zeitalter für alle zugänglich machten – nicht
erst seit Open Data.
Keine
Demokratie ohne Erinnerung
Am
Freitag den 9. Juni feiern weltweit alle ArchivarInnen ihre Arbeit. Auch der
Verein Schweizerischer Archivarinnen und Archivare (VSA-AAS) ist an diesem Tag
in Festlaune und organisiert Veranstaltungen für die breite Öffentlichkeit. Der
nationale Berufsverband hat sich eine Maxime ausgedacht, welche ihre
Überzeugung auf den Punkt bringt: Keine Aufzeichnungen, keine Erinnerungen,
keine Demokratie!
http://vsa-aas.ch/verband/ueber-uns/
http://vsa-aas.ch/verband/ueber-uns/
Das
Gedächtnis der Frauen
Die
Odyssee der politischen Rechte der Schweizerinnen ist im Gosteli-Archiv
dokumentiert. Die Archiv-Gründerin Marthe Gosteli präsidierte 1970 die
Arbeitsgemeinschaft der Frauenverbände und engagierte sich für das
Frauenstimmrecht. Sie ist im April, einige Monate vor ihrem 100. Geburtstag,
verstorben. Jetzt wird auf politischer wie auch nationaler und kantonaler Ebene
über die Zukunft ihres Archives debattiert: Wird das „Gedächtnis der Schweizer
Frauen“ in der schönen Villa in Ittigen bleiben? Oder wird die Geschichte der
Frauen im Bundesarchiv in Bern unter F wie „ferner liefen“ archiviert?
Mehr
als nur ein Worttresor
Vier
Nationale Wörterbücher (NWB) dokumentieren und erklären die dialektalen und
historischen Wortschätze der Schweizer Landessprachen. Das älteste und das am
weitesten fortgeschrittene Werk ist das Idiotikon. Es erschien erstmals 1881
und wird im Jahr 2023 fertig sein. Vier unabhängige Redaktionen bearbeiten die
Wörterbücher und erschliessen mit ihrem Wirken auch einen historischen und
volkskundlich wertvollen Fundus. Alle vier Wörterbücher sind Unternehmen der
SAGW.
http://www.sagw.ch/de/sagw/die-akademie/unternehmen/nwb.html
Eine nationale Rückerinnerung
„Gleich
acht arabische Missionschefs sprachen am 6. Juni 1967 bei Bundesrat Willy
Spühler vor und protestierten heftig gegen die einseitig ‘antiarabische
Tendenz’ von Schweizer Öffentlichkeit und Presse: ‘Dies widerspricht dem Geist
der schweizerischen Neutralität’, so die Botschafter (dodis.ch/33280).“ 50 Jahre
Sechstagekrieg – die Rolle der Schweiz in der Edition Diplomatische Dokumente
der Schweiz (DDS) in Bern. Forschende, Journalisten und Interessierte bekommen
mit dieser Publikation Zugang zu amtlichen Quellen in gedruckter und
digitalisierter Form. Die DDS sind ein weiteres Unternehmen der Schweizerischen
Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften.
Die
Beschützer der Gedächtnisse
Im
vordigitalisierten Zeitalter bevölkerten vor allem HistorikerInnen die Archive.
Ihr universitäres Fachwissen war geradezu ideal für eine Tätigkeit im Archiv.
Nicht zuletzt mit den Anforderungen der Digitalisierung hat sich der Beruf neu
professionalisiert mit Nachdiplomstudien in Archiv-, Bibliotheks- und
Informationswissenschaft an der Universität Bern gemeinsam mit Lausanne und an
den Fachhochschulen Genf und Chur.
Data and Service Center for the Humanities (DaSCH)
In diesem Jahr ist auch das Data and Service Center for the
Humanities (DaSCH), auch ein Unternehmen der SAGW, technologisch ausgereift und
bereit für den Betrieb. Die neue Plattform für geisteswissenschaftliche Forschungsdaten
garantiert einen Zugang für alle – für Forschende wie auch für eine breite
Öffentlichkeit.
Das
Google-Paradoxon
Die
hoffnungsträchtige Digitalisierung hat jedoch auch einige dunkle Kapitel, etwa
neue ‘black spots’: „Akten, die früher in Papierform zugänglich waren und nun
digital vorliegen, werden unter Umständen gesperrt, weil deren Inhalte über
Suchmaschinen auffindbar sind. Das kann dann ein Problem werden, wenn Akten
Hinweise auf schützenswerte Personendaten geben. In diesem Fall kann die
Digitalisierung zu einer Verschlechterung der Verfügbarkeit führen“, sagt Dr.
Beat Immenhauser, wissenschaftlicher Mitarbeiter der SAGW.
Ein
Bild sagt mehr als 1000 Worte
In Bildarchiven von Schweizer Medienunternehmen hat die Digitalisierung eine Revolution ausgelöst. Beispiel Ringier AG: 2009 übernahm das Staatsarchiv Aargau den gesamten analogen Bildbestand des Medienunternehmens. Sieben Millionen Fotos aus den 1930er-Jahren bis zum Ende des 20. Jahrhunderts geben Einblicke in die Alltagsgeschichte der Schweiz. Im Medienunternehmen selber haben seither mehrere Archivare nur noch ein digitales Archiv der Pressebilder betreut. Eine Automatisierung wurde geplant und ist jetzt betriebsbereit, darum werden sich die Mitarbeiter schon bald von den digitalen Zeitzeugen, Fotos aus dem Zeitgeschehen der Schweizer Bevölkerung, trennen müssen – ein Computerprogramm übernimmt ihre Arbeit.
In Bildarchiven von Schweizer Medienunternehmen hat die Digitalisierung eine Revolution ausgelöst. Beispiel Ringier AG: 2009 übernahm das Staatsarchiv Aargau den gesamten analogen Bildbestand des Medienunternehmens. Sieben Millionen Fotos aus den 1930er-Jahren bis zum Ende des 20. Jahrhunderts geben Einblicke in die Alltagsgeschichte der Schweiz. Im Medienunternehmen selber haben seither mehrere Archivare nur noch ein digitales Archiv der Pressebilder betreut. Eine Automatisierung wurde geplant und ist jetzt betriebsbereit, darum werden sich die Mitarbeiter schon bald von den digitalen Zeitzeugen, Fotos aus dem Zeitgeschehen der Schweizer Bevölkerung, trennen müssen – ein Computerprogramm übernimmt ihre Arbeit.
Geschichten,
die das Leben schrieb
Wer sich über die Bedeutsamkeit von Archiven noch nicht im Klaren ist, der lese beispielsweise den Roman „Stürmische Jahre“ von Evelyn Hasler. Mit dem Buch der Glarnerin erhält die Schweizer Theatergeschichte zwei Gesichter: Wie Ferdinand und Marianne Rieser vor dem Zweiten Weltkrieg am Zürcher Schauspielhaus namhafte Autoren, Regisseure und Schauspieler engagierten und sie vor den Nazis retteten. Evelyn Hasler fand die Protagonisten für den ergreifenden Roman in Archiven und schuf ein neues Kulturgut, das heute in Schweizer Bibliotheken steht.
https://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/die-dreissger-jahre-am-zuercher-schauspielhaus-1.18609722
Wer sich über die Bedeutsamkeit von Archiven noch nicht im Klaren ist, der lese beispielsweise den Roman „Stürmische Jahre“ von Evelyn Hasler. Mit dem Buch der Glarnerin erhält die Schweizer Theatergeschichte zwei Gesichter: Wie Ferdinand und Marianne Rieser vor dem Zweiten Weltkrieg am Zürcher Schauspielhaus namhafte Autoren, Regisseure und Schauspieler engagierten und sie vor den Nazis retteten. Evelyn Hasler fand die Protagonisten für den ergreifenden Roman in Archiven und schuf ein neues Kulturgut, das heute in Schweizer Bibliotheken steht.
https://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/die-dreissger-jahre-am-zuercher-schauspielhaus-1.18609722
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