Der Schreck des Mittelfeldes

Dr. Franca Siegfried
Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Alle drei Jahre versetzen PISA-Resultate Lehrkräfte, Politiker, Bildungsexperten und Medien in Aufruhr – das erste Mal im Jahr 2000. Schon damals wurden Resultate angezweifelt, statistische Methoden hinterfragt, und Experten pilgerten zu den PISA-Gewinnern nach Finnland. Mit Antti, einem Arztsohn aus Jyväskylä, ging ich als Journalistin zwei Tage zur Schule. Antti war der Punktesieger im PISA-Test.

29 Millionen 15-Jährige
Die Schülerleistungen von 72 Nationen zu vergleichen ist ein heikles Feld: 2016 erreichen die Schulabgänger in der Schweiz in Mathematik den besten Mittelwert in Europa. In den Naturwissenschaften, dem Schwerpunkt der aktuellen Studie, liegt der Schweizer Mittelwert auch über dem OECD-Durchschnitt. Nur beim Lesen gehört die Schweiz ins OECD-Mittelfeld zusammen mit Österreich, Italien und Frankreich.­

Mehr Lebenschance
„Jeder fünfte Schüler kann nicht richtig lesen“, titelt am 11. Dezember die Sonntagszeitung. „Betroffene werden zu Tausenden in der Arbeitslosigkeit landen und Bildungsexperten stellen ein Systemversagen fest“. Dieser Pessimismus bringt keine Lösung, zumal nicht nur das Bildungssystem die Verantwortung trägt.

Das Wunder des Lesens
Die Lesekompetenz eines Kindes hängt auch von der sozialen Herkunft ab: „Das Wunder des Lesens entsteht früh. Oder eben nicht. Zwischen null und sechs Jahren entdeckt das Kind Laute, Silben, Wörter, später Sätze“, schreibt Daniel Meier von NZZ am Sonntag. Müsste zum Babyschwimmen auch ein Sprachcoaching für bildungsferne Eltern angeboten werden?

Goethe anstelle Einstein
Die Dominanz der Naturwissenschaften und der Mathematik ist ein gesellschaftliches Phänomen, was sich jetzt auch in der aktuellen Studie ausdrückt. Mit der populären Empiriegläubigkeit ist die Geisteswissenschaft als ungenau und unnötig in Ungnade gefallen. Wird es jetzt dank der PISA-Resultate eine Renaissance der Geisteswissenschaften geben? Lasst uns zusammen am Weihnachtsabend Goethe lesen:

Bäume leuchtend, Bäume blendend,
Überall das Süsse spendend,
In dem Glanze sich bewegend,
Alt und junges Herz erregend...
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