Überstrukturierung im Bologna-Prozess wird rückgängig gemacht

Beitrag von Dr. Marlene Iseli, SAGW

Harmonisierungsreformen sind immer umstritten, insbesondere in der föderalistisch geprägten Schweiz. Mit der Implementierung der Bologna-Reform wurden Studienpläne zweigestuft (Bachelor und Master), wobei der Masterstudiengang den Status des universitären Regelabschlusses behielt.

Die vertikale Mobilität zwischen den Stufen Bachelor und Master wurde nebst der angestrebten (geographischen) horizontalen Mobilität zur neuen Herausforderung, der man sich – meist eher widerwillig – stellen musste. Bei dem 2012 veröffentlichten Positionspapier der SAGW, das unter anderem für einen auch in der Praxis eigenständigen Bachelor-Abschluss plädiert, wurden viele kritische Stimmen laut, die in der Verkürzung der disziplinenspezifischen universitären Bildung eine Bedrohung für die akademische Qualität sahen. Auch der Vorschlag, sich innerhalb geisteswissenschaftlicher Fachbereiche der Common Grounds zu besinnen und fächerübergreifende Einführungsveranstaltungen zu konzipieren, stiess auf wenig Sympathie.

Die Bologna-Reform hat vielerorts unerwünschte Nebeneffekte ausgelöst. Kritische Stimmen sprechen vom Bulimie-Lernen, der Verschulung des Studiums, von von ECTS-Punkten getriebenen Studierenden, von allerlei Problemen an den Schnittstellen und Scharnieren im Mobilitätsstreben, die mitnichten von der Hand zu weisen sind. Mit Blick auf das Curriculum wurde meist hinter vorgehaltener Hand offenbart, dass bestehende Studieninhalte bloss in die neuen Gefässe abgefüllt wurden, dass das Lizentiat lediglich in ein leicht verlängertes Grundstudium (Bachelor) und ein zweijähriges Masterstudium aufgeteilt worden sei. Die Kritik, dass mit der Bologna-Reform mit dem supranationalen Label durch die Hintertüre national nicht durchsetzbare Reformziele geltend gemacht wurden, habe diesen passiven Widerstand befeuert (obwohl in vielerlei Hinsicht keineswegs von einer Passivität der Universitäten gesprochen werden kann – aber das ist eine andere Geschichte).

Nun bringt die Universität Zürich erneut Bewegung ins curriculare System. Wie der Tagesanzeiger (26.3.) und die NZZ (28.3.) Ende März berichteten, steht die Schaffung eines Bachelors in Sprachwissenschaften auf der Agenda. Mit dem Ziel, der Überstrukturierung der Bologna-Implementation entgegenzuwirken, sollen Studienstrukturen vereinfacht werden, um Studierende mehr im Sinne der universitären raison d’être als Lehr- und Lernort für 'echte Bildung' zu fördern, wie es Gottfried Schatz unlängst in seinem Beitrag geschildert hat (NZZ vom 17.4. «Echte Bildung anstatt nur Wissensvermittlung»). Die Strategie «Bologna 2020» der Universität Zürich soll mit mehr Freiraum dazu beitragen, dass sich Studierende zu kritisch denkenden Akademikern entwickeln können.

Man darf gespannt sein, ob weitere Universitäten den von der Universität Zürich beschrittenen Weg einschlagen (und damit die 2012 von der SAGW vertretene Position aufnehmen). Ulrich Teichler hatte 2011 anlässlich des Kongresses «Für eine neue Kultur der Geisteswissenschaften?» davor gewarnt, den Bachelor einfach als Bonsai-Version im Sinne eines Vorlaufs zum Masterstudium zu betrachten. Die Frage ist nun, ob der Bonsai zukünftig im Hochschulraum allgemein etwas zurechtgestutzt wird oder ob schattenspendende Baumarten gepflanzt werden, die unter dem Laub der altehrwürdigen Eichen nicht quasi verschwinden, sondern das Schweizer Hochschulsystem gerade nach den klimatischen Bedrohungen vom 9. Februar zusätzlich florieren lassen.

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