Reaktion zur Tagung

Da die Tagung etwas abrupt und entgegen des Programms eine halbe Stunde zu früh beendet wurde, war es leider nicht mehr möglich, zumindest eine kurze Diskussion im Plenum über den Inhalt der gesamten Tagung und nicht nur über die einzelnen thematischen Blöcke zu führen. Was folgt ist ein kurzer wissenschaftssoziologischer Kommentar, der eigentlich in einer solchen abschliessenden Gesamtdiskussion hätte Platz finden sollen.

Die breit gefächerten Voten im Rahmen der Tagung schienen sich in einem Punkt einig zu sein: die Geisteswissenschaften befinden sich in einer veränderten politischen, universitären und medialen Situation wieder. Dass sich daraus eine Notwendigkeit zur Reaktion von den Geisteswissenschaften ergibt, wurde mehrheitlich befürwortet, auch wenn dies manchmal nicht viel mehr als die Forderung nach verbesserten Kommunikationsanstrengungen bedeutet hat. In welcher Form man sich auf diese neue Situation einlassen sollte, wurde bspw. von Loprieno so beantwortet, dass die eigenen Überzeugungen in schlitzohriger Subversion des Systems zurückzustellen sein. Verantwortungsethik kommt vor Gesinnungsethik müsste man hier wohl diagnostizieren.
Diese Art von Handlungsempfehlungen kollidieren aber mit der von Schimank sehr deutlich markierten Problematik, dass eigentlich kaum verlässliches Wissen über das Funktionieren, die Folgen und die Nebenfolgen dieser neuen Wissenschaftskonstellation vorliegt, auf die sich die Geisteswissenschaften einlassen sollen. Es ist deshalb bemerkenswert, dass die Redner und Kommentatoren während der Tagung sehr sicher darin schienen, was sie alles darüber wissen, wie sich der Zustand der Geisteswissenschaften und die gegenwärtigen Lage präsentiert. Mit Schimank muss man konstatieren, dass diese Sicherheit nicht in den Befunden der Hochschul- und der Wissenschaftsforschung begründet liegen kann, sondern höchstens aus anekdotischer Evidenz stammen muss.
Es liegt hier eine merkwürdige Diskrepanz - nicht Schizophrenie, allenfalls kognitive Dissonanz – vor, indem die Evidenzforderung für Fragen innerhalb der wissenschaftlichen Disziplinen hochgehalten wird, die Erläuterungen Schulzes mögen hier als Beleg dienen, während für Fragen der Wissenschaftspolitik belastbare Evidenzen kaum für notwendig erachtet werden. Für die eigenen Belange in einer Wissensgesellschaft politisch eintreten zu können, setzt aber gerade voraus, dass Forderungen mit belastbarem Wissen untermauert werden, so dass sich im besten Fall der von Gugerli beschriebene Teufelskreis durch selbstbewusst auftretende Geisteswissenschaften durchbrechen liesse.

Martin Reinhart, Programm für Wissenschaftsforschung Basel

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