Wenn die Vergangenheit aus dem Gletscher schmilzt

Dr. Manuela Cimeli, SAGW, Projekt «Sprachen und Kulturen»

Frühbronzezeitliche Scheibenkopfnadel
© Archäologischer Dienst des Kantons Bern
Kathrin Glauser
Aufgrund des Klimawandels und der damit einhergehenden steigenden Temperaturen schmelzen die Gletscher rasch ab und einzelne Eisfelder oder bisher von Eis zugedeckte Höhleneingänge geben immer wieder archäologisch interessante Funde frei. Die bekannteste Entdeckung in diesem Kontext stellt der Fund der Eismumie Ötzi im Südtirol dar – dies war gleichzeitig die Geburtsstunde der bisher im europäischen Alpenraum unbekannten Fachrichtung der Gletscherarchäologie. Das Arbeitsgebiet der Gletscherarchäologen befindet sich auf über 2500 m Höhe. Archäologisch interessante Funde sind menschliche, tierische oder pflanzliche Überreste, Textilien (z.B. Wolle), Holz oder Leder, Metall (z.B. Münzen) oder auch Steinfunde (z.B. Pfeilspitzen).

Zugang zum Alltag in der Frühzeit
Von besonderem Wert sind die organischen Fundstücke, die in tieferen Lagen in den seltensten Fällen konserviert bleiben. Die besondere Bedeutung der Fundstücke liegt darin, dass wir dank ihnen Zugang erhalten zu bisher weitgehend unbekannten sozialen Bereichen der Frühzeit wie beispielsweise der Bekleidung und Ausrüstung von neolithischen, bronze- und eisenzeitlichen oder keltischen Reisenden (Händlern, Jägern, Bauern), oder dann auch römischen Soldaten. Zudem erfahren wir, welche hochalpinen Wege bereits in der Frühzeit begangen wurden und wir können daraus auch Rückschlüsse ziehen auf die damals herrschenden klimatischen Bedingungen. Für einmal ermöglichen uns archäologische Funde einen Blick auf einen Teil der breiten Bevölkerung und nicht nur auf Vertreter einer privilegierten Oberschicht. Eine Kontextualisierung und Interpretation der Fundstücke ermöglicht uns kurze Momentaufnahmen in den Alltag einer grösstenteils unbekannten Geschichte unserer hochalpinen Regionen. Insofern ist die kulturgeschichtliche Bedeutung der Funde von unermesslichem Wert.

Gletscherschmelze mit Folgen
Allerdings stellt der rasante Gletscherschwund das junge Fachgebiet der Gletscherarchäologie vor gewaltige Herausforderungen. Einerseits zersetzen sich oder zerfallen die organischen Funde, welche während Jahrzehnten, Jahrhunderten oder Jahrtausenden im Eis unter mehr oder weniger konstanten Umweltbedingungen lagerten, sehr schnell, wenn sie an die Luft kommen. Andererseits sind die Gletscherarchäologen nicht immer vor Ort, wenn ein Fund aus dem Eis ausschmilzt.
Im Geschichtsmuseum Wallis ist noch bis zum 3.3.2019 die Ausstellung «Aus dem Eis: Spuren in Gefahr» zu besichtigen. Sie vereint Gletscherfunde von neolithischer Zeit bis in die Neuzeit und gibt einen spannenden Einblick in die Thematik der Gletscherarchäologie.

Archäologische Funde nicht anfassen
Um möglichst wenige Funde für immer zu verlieren, setzen die Archäologen auf die Sensibilisierung von Personen, die sich regelmässig im Hochgebirge bewegen, sei es aufgrund ihrer Arbeit, oder während der Freizeit. Die Konferenz der Schweizer Kantonsarchäologinnen und Kantonsarchäologen (KSKA) ist daran, eine Informationswebsite zu erstellen. Es geht darum, der breiten Bevölkerung zu vermitteln, was getan werden muss, wenn man auf archäologisch interessante Funde stösst:
  • Funde nicht anfassen
  • Funde und Kontext fotografieren
  • Lokalisieren (GPS)
  • Ort markieren, damit er wiedergefunden werden kann
  • Kantonsarchäologie informieren – bei menschlichen Überresten auch Polizei

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Save the Date: SAGW-Tagung zur Gletscherarchäolgie, Montag 6. Mai 2019, Alpines Museum Bern
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