Altersfreundliche Umgebungen: Eine Chance für alle Generationen

Lea Berger, SAGW, Projekt «Ageing Society»

Altersfreundliche Umgebungen ©Atelier Nordföhn
2015 hat die WHO ihre neue Strategie „Global Strategy and Action Plan on Ageing and Health“ veröffentlicht, in der sie unter anderem eine Ausrichtung der Gesundheitspolitik auf eine dynamische, kontextbezogene Stabilisierung der Lebensqualität fordert, sowie einen differenzierten Altersbegriff einführt, der Altersstigmatisierungen entgegenwirken soll. Eines der fünf strategischen Handlungsfelder betrifft die Entwicklung von „age-friendly environments“ (altersfreundliche Umgebungen).

Was bedeutet „age-friendly“?

Altersfreundlich bedeutet niederschwellig zugänglich, gerecht, integrierend, sicher und fördernd. Altersfreundliche Umgebungen helfen somit, Altersdiskriminierungen zu vermeiden, ermöglichen die gesellschaftliche Partizipation der älteren Bevölkerung und bieten besonders vulnerablen Personen Sicherheit. Angesichts des hohen Einflusses sozialer Ungleichheit und dem damit einhergehenden sozialen Ausschluss, der sich negativ auf den Gesundheitszustand auswirkt, ist dieses Ziel für das gesundheitliche Wohlbefinden der älteren Bevölkerung zentral. Es wurde somit in die inhaltlichen und strategischen Prioritäten der „a+ Swiss Platform Ageing Society“ aufgenommen (www.ageingsociety.ch).

Altersfreundliche Umgebungen als umfassendes und generationenübergreifendes Konzept
Nebst den verschiedenen Lebensbereichen, die von diesem strategischen Ziel der WHO betroffen sind (das Gesundheits- und Wohlfahrtssystem, der öffentliche Raum, das Wohnen, der Arbeitsmarkt...), sollen altersfreundliche Umgebungen alle Generationen unterstützen und integrieren. Tatsächlich betreffen die Chancen und Herausforderungen einer Gesellschaft des langen Lebens all ihre Altersgruppen. Trotz Heterogenität der älteren Bevölkerung kann festgestellt werden, dass sich soziale und wirtschaftliche Vulnerabilität sowie die körperliche Fragilität grösstenteils bereits in jüngeren Jahren konstruiert – beziehungsweise dass ihr mit Hilfe einer generationenübergreifenden Perspektive präventiv entgegengewirkt werden kann. Ganz im Sinne von P. Bourdieu und in einer Lebenslagenperspektive beschreiben Prof. Dr. Carlo Knöpfel und sein Team (FHNW) im Pro Senectute Bericht „Erst agil, dann fragil“ (2015) das Leben als Prozess der Kapitalansammlung: „Die Lebenslage älterer Menschen (ist) Spiegelbild ihres Lebenslaufs (...), die Summe ihres Verhaltens und der Verhältnisse, in denen sie bisher gelebt haben“ (S. 34).

Generationenpolitische Forderungen am Beispiel der Betreuungsfrage

Die SAGW hat 2012 die Publikation „Was ist Generationenpolitik? Eine Positionsbestimmung“ herausgegeben und drei zentrale Ziele der Generationenpolitik definiert: die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit, die aktive Beteiligung aller Generationen am gesellschaftlichen Leben und die Überwindung der Bindung von Handlungsmöglichkeiten an einzelne Lebensphasen. Dabei wurden in relevanten Politikbereichen konkrete Massnahmen vorgeschlagen: etwa in der Familienpolitik, der Bildungspolitik, der Organisation des Erwerbslebens oder der Sozialpolitik. Im Kontext einer alternden Gesellschaft, unter anderem im Hinblick auf den wachsenden Bedarf an Betreuung älterer Menschen, sind diese Ansätze hochaktuell, obwohl sie zum Zeitpunkt ihrer Publikation kaum politische Beachtung fanden. Im Sinne der Ermöglichung eines würdigen Alterns und der Verhinderung einer Zweiklassengesellschaft plädiert der kürzlich veröffentlichte Bericht der Paul Schiller Stiftung, „Gute Betreuung im Alter“ (2018, C. Knöpfel et al.), für eine ganzheitliche Sicht auf die Betreuungsfrage, welche Aspekte wie die Einbindung aller Betroffenen, die Einkommensunterschiede, die Aufwertung und Anerkennung der (informellen) Betreuungsarbeit, die Entlastungsmöglichkeiten der Betreuenden, die Vernetzung aller Lebensbereiche sowie die Gesundheitsförderung mitberücksichtigt.



Kommentare

Prof. Dr. Ulrich Otto hat gesagt…
Danke, Lea Berger, für den guten Blogbeitrag!
Nur ganz wenige Anmerkungen:
(1) Gut, dass der Generationen- und Lebenslauf so hervorgehoben wird. Das geht beim Übersetzen von age-friendly in ein deutsches "altersfreundlich" ja so leicht vergessen - weshalb manche lieber von "alterNsfreundlichen" Städten usw. reden.
(2) Über diesem wichtigen Akzent ist freilich vielleicht die andere Pointe der "altersfreundlichen Umgebungen" im Blog etwas untergegangen - die umgebungsbezogene, die (sozial-)raumbezogene. Im WHO-inspirierten Konzept der agefriendly environments und cities ist sie ja ebenso grundlegend wie die o.g. Perspektive. Und vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, wie viele Initiativen auch in diesem Feld in der Schweiz immer stärker werden - oft eben auch inspiriert von den internationalen Diskursen. Ob das die age-friendly cities und communities sind oder die vielfältigen Keimlinge der "Caring Communities" oder diejenigen der "Gesundheitsregionen", die nicht nur verwaltungsbezogene Versorgungsregion sind...
Gut, wenn dies alles auch in der a+ Plattform Widerhall und Resonanz erhält....
SAGW hat gesagt…
Vielen Dank für den Input. Ageing Society ist ein langfristiges Projekt der SAGW und gerade der Aspekt "altersfreundliche" Umgebungen wird uns sicher weiterhin beschäftigen. Zudem planen wir eine Veranstaltungsreihe zum Thema "Raum" in all seinen Facetten. Wir bleiben dran.
Lea Berger hat gesagt…
Lieber Herr Otto

Vielen herzlichen Dank für Ihren relevanten und geschätzten Kommentar! Die Thematik der umwelt- und sozialraumbezogenen altersfreundlichen Umgebungen ist für die Plattform natürlich ebenfalls äusserst relevant – dies ist ebenfalls in der Liste der laufenden Projekte der Plattform ersichtlich, die Sie auf der Webplattform einsehen können: http://ageingsociety.ch/ageing-society/Projekte-der-Plattform.html