Der digitale Kick

Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften

Die Strategie des Bundes für eine digitale Schweiz ist mit klaren Botschaften bestückt: Politische Instanzen und Behörden geben der digitalen Entwicklung genügend Raum. Sie engagieren sich für einen umfassenden Strukturwandel in der Gesellschaft. Mit diesen Grundsätzen soll sich die Transformation der Digitalisierung im Dialog mit Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Zivilgesellschaft erfolgreich etablieren. Mit der Umsetzung der Strategie verfolgt der Bundesrat vier Kernziele: 1. Die Schweiz als innovative Volkswirtschaft nutzt die Chancen der Digitalisierung für Wachstum und sichert damit den Wohlstand. 2. Der Bevölkerung muss ein kostengünstiger Zugang für Infrastrukturen der Informations- und Kommunikationstechnologien IKT ermöglicht werden. 3. Alle im Land können sich in der virtuellen wie auch realen Welt bewegen und sich darauf verlassen, dass die Datensicherung dem internationalen Standard entspricht. 4. Die Schweiz will mit Hilfe von IKT auch klima- und energiepolitische Ziele zur nachhaltigen Entwicklung erreichen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-61417.html

Cyber-Risiken (NCS) in der digitalisierten Welt
Seit 2012 ist der Bund daran, allfällige Schutzmassnahmen zu entwickeln: Etwa durch frühzeitiges Erkennen der Cyber-Risiken, die Verbesserung von anfälligen Infrastrukturen und die Reduktion der Cyber-Bedrohungen. Eine erste Wirksamkeitsüberprüfung der Firma AWK Group zeigt, dass die Schweiz besser auf Cyber-Risiken vorbereitet ist als vor fünf Jahren – dennoch sind weitere Massnahmen notwendig. Für Schlagzeilen sorgte der Spionageangriff auf den bundeseigenen Rüstungskonzern Ruag im Jahr 2016.
https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/48045.pdf
https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/dokumentation/nsb-news_list.msg-id-66487.html

Aktionsplan Cyberdefense
Bis in drei Jahren müsste gemäss Aktionsplan eine Truppe von 100 Netzsoldaten die Cybereinheit der Schweizer Armee stellen. Darum sucht jetzt Verteidigungsminister Guy Parmelin bestens ausgebildete Cyberexperten. Zur Einhaltung dieser Zielvorgabe beabsichtigt das VBS auch enge Partnerschaften mit Schweizer Hochschulen zur Rekrutierung der Cyberkrieger. Schon ist ein erster Kursus in einem Cyberdefense-Campus für 2018 in Planung.
 
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/wenn-sich-die-armee-mit-google-misst/story/27153071

Dennoch auf Rang 28
Auf die Strategie des Bundes muss auch die öffentliche Verwaltung reagieren. Obwohl die Behörde seit 2003 online ist, belegt die Schweiz im E-Gouvernment-Survey der UNO letztes Jahr nur den 28. Rang! Es ist ein klägliches Resultat für alle Anstrengungen und Dienstleistungen im Rahmen der Digitalisierung. Das Paradebeispiel dafür ist das Internetportal www.ch.ch – hier übernimmt die Behörde die Rolle des Ratgebers für alle Lebenslagen: Wo gilt es aufzupassen vor Zecken, in der Rubrik „Arbeit“ dreht sich alles um Stunden, Zeugnis und Konflikte. Darf ich überall meine Drohne fliegen lassen und wie finde ich meine AHV-Nummer? In der Rubrik „Demokratie“ erfährt man wesentliches über Referendum, Initiative und über die bevorstehende Abstimmung. Mit diesem Portal übernimmt der Staat definitiv die Rolle „des gütigen Landesvaters“, der sich um die alltäglichen Sorgen seiner Untertanen kümmert. Ein weiteres ehrgeiziges Projekt verfolgt der Bund mit dem E-Voting, dem papierlosen Abstimmen im Internet, welches die StimmbürgerInnen an die digitale Urne locken soll. Dennoch bewertet die UNO das E-Gouvernment der Schweiz im Vergleich mit 29 industrialisierten Ländern auf dem zweitletzten Platz – an der Spitze stehen England und Australien.

Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare
Warum die Schweiz im E-Gouvernment auf Platz 28 liegt schildert Erich Aschwanden in der NZZ (4. August 2017). Der Bund habe auf falsche Prioritäten gesetzt – auf E-Voting. Ein papierloser Verkehr mit den Behörden liege daher noch in ferner Zukunft. Die Nachfrage für E-Dienstleistung hält sich auch noch in Grenzen, die Skepsis als gläserner Bürger zu enden ist weit verbreitet. Trotzdem gäbe es genügend Transaktionen, die sich ins Internet verlagern lassen: Kurze elektronische Wege zur Bearbeitung von Anliegen sind eine Chance für alle – Behörde und Bürger. Beispielsweise verletzen Terminvereinbarungen per mail kaum die Privatsphäre. Die Frage zur Sicherheit ist allerdings beim Abstimmen im Netz, dem E-Voting, heikel. Hacker könnten Abstimmungsresultate manipulieren und damit eine politische Krise auslösen. Notabene ist Abstimmen und Wählen ein emotionaler, demokratischer und auch traditioneller Akt, der sich nicht mit einem banalen Verwaltungsvorgang vergleichen lässt. Nur schon aus der soziologischen Perspektive ist E-Voting keine ideale Wahl zur Durchsetzung der Digitalisierung.

Bürger als Datensatz
Dirk Helbing, Professor für Computational Social Science der ETH Zürich warnt davor, dass der Bürger zum Datensatz schrumpft. Der Staat sammelt exorbitante Mengen von persönlichen Daten – mehr Information bedeutet Wissensvorsprung und damit verschieben sich die Machtverhältnisse. “Die Gesellschaft ist keine Maschine“, schreibt Professor Helbing NZZ-Online (6. August). Die Nebenwirkungen der Digitalisierung mit dem exponentiellen Wachstum der Daten, die über den Menschen verfügen, kann mit der Rolle des Staates als „gütigen Landesvater“ soweit gehen, dass er sich um alles kümmert und dabei das Modell der direkten Demokratie aushebelt – bzw. die Bewohner des Landes entmündigt.
Die Beiträge von Professor Helbing und Erich Aschwanden in der NZZ zeigen zwei verschiedene Entwicklungswege auf. 1. Der „gütige Landesvater“, welcher glaubt über Big Data alle Bedürfnisse der Bürger zu kennen und mittels Paternalismus seine Autorität legimitiert. Oder! 2. Die Digitalisierung ermöglicht eine aktive Partizipation der BürgerInnen mit dem Staat, um ihre Anliegen, Wünsche und Bedürfnisse zu äussern. Die Diskussion über die Auswirkungen der Digitalisierung im Leben des Menschen hat soeben erst begonnen: Sicher ist, dass die beiden möglichen Entwicklungswege im nächsten E-Gouvernment-Survey den Rang nochmals beeinflussen werden – noch oben oder nach unten. Alles ist offen. Das Thema über Digitalisierung und „Big Data“ ist derart „big“, dass der nächste Blog weiter darüber berichten wird.
https://www.nzz.ch/feuilleton/digitalisierung-und-demokratie-schrumpft-den-buerger-nicht-zum-datensatz-ld.1309268    




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