Heiraten, Scheiden und Schulabschluss

Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Seit mehr als zehn Jahren betreut Zuza Speckert die Rubrik «Just married» der NZZ am Sonntag. Sie schreibt über Frauen und Männer, die sich das Ja-Wort gaben. Die frisch Vermählten trifft die Hochzeitsreporterin meistens am Ort des Geschehens: Im Zürcher Stadthaus wartet die Journalistin auf Brautpaare, die glücklich aus dem Heiratszimmer stürmen.

Liebe und Ja-Wort
Die Rubrik «Just married» wird gerne gelesen. Es sind keine Fake-News, keine Kopfgeburten von Autoren, sondern wahre Liebesgeschichten aus dem Leben – alle mit Foto versteht sich. „Sozial und kulturell verbleiben Hochzeitsfeste bei jungen Menschen populär. Was sich bei Hochzeiten seit den 1970 Jahren verändert hat, ist ihre soziale Ausrichtung: Waren Heirat und Hochzeit früher primär eine Familiensache, sind Heirat und Hochzeit heute stärker freundschaftsorientiert (Freunde und Freundinnen sind ebenso, wenn nicht sogar stärker involviert als Verwandte)“, schreibt Professor François Höpflinger im neuen Familienbericht 2017. https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-66484.html

Nicht jede Liebe hält ein Leben lang
Die Soziologin Simone Villiger der Universität Zürich interessiert sich für das Leben nach den Hochzeitsfestivitäten – für den Zusammenhang von Scheidungsverhalten und Bildungsniveau der Frauen. Die Bildung der Frauen orientiert sich am höchst erworbenen Bildungsabschluss: Das tiefste Niveau ist die obligatorische Schule, gefolgt von der Berufslehre oder Mittelschule und als höchstes Niveau die Tertiärbildung.

4522 Frauen
Als Grundlage der Studie dienen Simone Villiger Fakten von der Volkszählung (Bundesamt für Statistik): Sie verwendet Daten aus der thematischen Erhebung „Familie und Generationen“ mit Fragebogen und telefonischem Interview. Die Soziologin analysiert insgesamt 4522 Frauen, die in der Schweiz geboren wurden und mindestens einmal verheiratet waren.

Scheiden mit viel und wenig Bildung
Villigers Analyse zeigt, dass von 1952 bis 1999 die Scheidungswahrscheinlichkeit für Frauen mit Tertiärbildung am höchsten war. Ab dem Jahr 2000 wurde der Einfluss des Bildungsniveaus abgeschwächt und ab 2004 ist dieser Einfluss im Scheidungsverhalten der Frauen einfach verschwunden. Die Erklärungen zu diesem Verschwinden sind vielschichtig: Etwa Liberalisierung des Scheidungsrechtes, steigende Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen, Abnahme der Religiosität, wie auch neue Lebensformen und Rollenverteilung der Geschlechter.

Massives Armutsrisiko
Die Soziologin hat ihre Resultate mit europäischen Studien verglichen und gesehen, dass in Schweden oder Grossbritannien im Laufe der Zeit sogar eine Umkehrung zwischen Bildung und Scheidungsverhalten stattfand. Frauen mit tiefer Bildung lassen sich jetzt am häufigsten scheiden – trotz massiv erhöhtem Armutsrisiko.

Trotz Arbeit arm
Gemäss Familienbericht 2017 wurden im Jahr 2014 ein Fünftel der alleinlebenden Eltern in der Schweiz als armutsgefährdet eingestuft. Trotz zumeist hohen Erwerbspensen haben alleinlebende Mütter ein kleines Einkommen, das unter oder nur wenig oberhalb der Armutsgrenze liegt. Sollte sich das Scheidungsverhalten nach der Studie von Simone Villiger wie in Schweden oder Grossbritanien entwickeln, werden noch mehr Mütter mit tiefer Bildung beim Sozialamt landen und ihre Kinder müssten das Stigma der Armut ertragen.

Spiegel der Gesellschaft
Zum Glück fehlt in der Medienlandschaft die Rubrik des Scheidungsreporters. Der Journalist würde im Bezirksgericht warten bis frisch geschiedene Paare aus dem Gerichtssaal kommen – aber auch diese Geschichten würden gelesen.

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