MOOCs in den Geisteswissenschaften – Erfahrungen aus der Skandinavistik

Beitrag von Jürg Glauser und Sandra Schneeberger, Universität Zürich

„Massive Open Online Courses“ (MOOCs) polarisieren: einerseits gepriesen als Möglichkeit freier Bildung für alle, andererseits als die Universitäten bedrohendes Geschäftsmodell kritisiert. 

MOOCs stammen aus den Computer- und Naturwissenschaften, wo es auch die meisten Angebote gibt. Zwar entstehen immer mehr geisteswissenschaftliche MOOCs, allerdings ist die gängige Meinung, die Inhalte dieser Disziplinen seien nicht auf Videosequenzen und Multiple Choice-Test reduzierbar.  Komplexes Denken und die geistige Tätigkeit des Verstehens liessen sich mit der digitalen Technologie nicht vermitteln.

Die Skandinavistik der Universität Zürich wagte es trotzdem und bot im Frühling 2015 den ersten MOOC an. Über 10'000 Teilnehmer aus aller Welt meldeten sich für „Sagas and Space – Thinking Space in Viking Age and Medieval Scandinavia“ an. Während acht Wochen wurde das aktuelle Thema des Raums in Videovorlesungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln präsentiert. Aufbereitete Literatur wurde zur Verfügung gestellt, es gab individuelle Lernkontrollen in Form von Quizzes sowie kollaborative Diskussionsaufgaben in den Foren. Die Gestaltung der Aufgaben war anspruchsvoll, da für die Teilnahme keine Vorkenntnisse erforderlich sind. Direkt zu den Videos gehörende Multiple-Choice-Fragen und komplexere Diskussionsaufgaben, die sich auf das Quellenmaterial bezogen, versuchten den unterschiedlichen Wissensständen gerecht zu werden. Die Resonanz auf ein derart spezifisches Thema war in der Tat massiv. Knapp 3000 Diskussionsbeiträge machten die Forumsmoderation zur zeitintensiven Aufgabe. Die Teilnehmer lobten den direkten Kontakt mit den Dozenten und auch unter den Peers ergaben sich fruchtbare Diskussionen. Mit aufwändiger Einarbeitung in das E-Learning konnte das diskursive Element der Geisteswissenschaften aber durchaus online umgesetzt werden.

Für die eigenen Studierenden war die Teilnahme am MOOC jedoch nicht interessant, da die Anrechenbarkeit in ECTS-Punkte nicht gegeben war. Deshalb fand vorgängig ein Seminar statt, in dem Inhalte für den Onlinekurs erarbeitet wurden. Es entstanden Essays, Link-Sammlungen, Übersetzungen altnordischer Texte und auch ein Videobeitrag. Klassische Leistungsnachweise so offen zu denken, erforderte nahe Betreuung der Studierenden, führte aber zu sehr kreativen Beiträgen.


Aus Sicht der Skandinavistik ist das Experiment MOOC gelungen. Gerade für ein kleines geisteswissenschaftliches Fach kann es interessant sein, sich einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und mit einer engagierten Online-Community in Kontakt zu treten.  Die Inhalte müssen aber auf die neue Umgebung angepasst und für eine Zielgruppe massgeschneidert sein. Das kostet Zeit und Geld. Und das ist anspruchsvoll für alle Fächer, egal ob Geistes- oder Naturwissenschaften.


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Im Bulletin 4/15 ist ein Interview mit Jürg Glauser und Sandra Schneeberger abgedruckt. Das SAGW- Bulletin finden Sie hier

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