Welches Latein für welchen Zweck?


von Dr. des. Manuela Cimeli und Dr. Beat Immenhauser, wissenschaftliche Mitarbeitende SAGW

Fazit der Podiumsveranstaltung der SAGW «Am Ende des Lateins? Pro und contra Lateinobligatorium für geisteswissenschaftliche Studiengänge» vom 12. Februar 2013, Uni Bern

Kennzeichen der gestrigen Podiumsveranstaltung waren die teilweise stark divergierenden Meinungen der geladenen Gesprächsteilnehmer. Trotzdem sollen hier ein paar Punkte herausgestrichen werden, welche eine Art Konsens darstellen:

a) der Wert des Lateins an sich steht nicht zur Debatte, die Gemüter erhitzen sich am Zwang des Lateinobligatoriums für bestimmte Fächer;

b) es wird immer junge Leute geben, welche sich für Latein interessieren; es ist jedoch auch festzustellen, dass das Interesse tendenziell eher nachlässt: welche Konsequenzen daraus erwachsen, ist momentan noch nicht abzuschätzen;

c) es besteht ein gewisses Unbehagen, wie das Lateinobligatorium gegenwärtig an den Schweizer Universitäten umgesetzt wird; insbesondere fehlen allgemein verbindliche Vorstellungen, welche Kompetenzen zu welchem Zweck auf welcher Stufe mit dem Lateinunterricht vermittelt werden sollen.

Den oben aufgeführten Punkten entnehmen wir als Pendenz, dass sorgfältig begründete Stellungnahmen zum Lateinunterricht an den Universitäten aus disziplinärer oder epochenspezifischer Perspektive weitgehend fehlen. Unsere Fachgesellschaften sind nun aufgerufen, die Frage des Lateinerwerbs zu erörtern und entsprechende Empfehlungen zu formulieren.

Die SAGW hat unter ihrem twitter-Account SAGW_CH über die Tagung berichtet (#latein). 

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Ich war gestern an der Veranstaltung zur Frage nach dem Lateinobli-gatorium und bin frustriert.
Gerade weil das Latein so einhellig gelobt wird, aber keinerlei Lö-sungsvorschläge aufschienen, provozieren die Schweizer Universitä-ten geradewegs die Abschaffung des Lateins für sämtliche andern Fä-cher.
Wer es (wie ich nämlich) beibehalten will, muss endlich den Schritt machen, den die Universitäten mit den ETCS-Punkten schon lange eingeführt haben: Latein muss ebenfalls Punkte generieren – die Höhe und Leistung dafür ist Sache der Verhandlungen – dann kann man es verlangen in Fächern, in denen es sinnvoll erscheint. (Eigentlich sollte es Sache der Studierenden sein zu entscheiden, was sie belegen möchten und was nicht.)
Die Uneinheitlichkeit der Regelungen ist sehr störend: Soll später der Zürcher Abschluss in Germanistik „mit Latein“ mehr gelten als der Basler? Es liegt auf der Hand, dass junge Studierende ohne wirt-schaftliche Unterstützung durch ihre Eltern nicht ein Jahr freiwillig zu-sätzlich einsetzen können. Ich hörte gestern oft „die guten Studieren-den“ täten das; es ist aber tatsächlich eine soziale Ungerechtigkeit. Es wird noch eine Zeitlang möglich sein, dass die Begüterten in Zürich studieren, die andern, die rechnen müssen, eine andere Uni suchen.
Wer Latein für gewisse geisteswissenschaftliche Fächer erhalten will, muss also folgende Probleme anpacken: Die Höhe der zu verlangen-den Leistung, die Prüfungsart, die Punkte dafür festlegen – und mit den Gymnasien über deren Lateincurriculum verhandeln.
Das wäre mein Anliegen.
Im Übrigen vielen Dank für die Ermöglichung der Diskussion.“
Pia Holenstein
Anonym hat gesagt…
Die Stimme eines AHV-Rentners: die Veranstaltung war super, danke! Die Cimeli/Immenhauser Zusammenfassung ist zutreffend und Events-getreu formuliert.
Ernst W. Schmid hat gesagt…
An der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich werden für die meisten Studiengänge gute Lateinkenntnisse vorausgesetzt. Für die meisten Studierenden, welche mit einer Matur ohne Latein an die Uni kommen ist das Nachholen des geforderten Latinums eine Last, welche das Studium ungewollt verzögert. Denn durch das Wochenpensum von 7 Lateinstunden, welche ihrerseits gut noch einmal so viele Aufgaben- oder Vorbereitungsstunden erfordern, entsteht über zwei Semester hinweg ein Aufwand, welcher kaum noch Zeit lässt, um sich die nötigen Kredit-Punkte für ein zügiges Vorwärtskommen im Studium des Hauptfaches zu sammeln. Eine Verlängerung des Grundstudium ergibt sich in vielen Fällen.

Alle zwei bis drei Jahre wieder wird folgende Frage in die Diskussion geworfen: „Sollen wir das Lateinobligatorium an der Philosophischen Fakultät abschaffen?“ Diese Frage wird von den Fachschaften aufgenommen - wie erst kürzlich in der Versammlung der Fachschaft Philosophie -, dort kontradiktorisch ausdiskutiert, und die Debatte endet mit einer Abstimmung, die eigentlich immer mit einem guten Mehr für das obligatorische Latinum ausgeht. Die Frage „Ist denn Lateinisch noch zeitgemäss?“ möchte ich persönlich mit einem „Ja, unbedingt!“ beantworten. Aber nicht das Verfassen von lateinischen Texten ist heutzutage wichtig, das müssen vielleicht noch hohe Geistliche können, wie Vitus Huonder, der mir noch aus jungen Jahren als hervorragender Kenner des Lateinischen bekannt ist. Dennoch ist in vielen Fächern (insbesondere sind das genau diejenigen mit Lateinobligatorium!) das Erbe an Texten, welche die Antike und das Mittelalter hinterlassen haben, beträchtlich. In der Geschichte oder in der Philosophie ist für die bedeutenden Epochen Antike und Mittelalter ohne Lateinkenntnisse nur ein Studium aus zweiter Hand möglich, und manchmal bloss ein lückenhaftes, weil nicht immer Übersetzungen vorhanden sind.

Aus diesen Gründen habe ich als Philosophie-Student den Lateinkurs absolviert und bemühe mich auch im Griechisch Kurs, obwohl nur eine und nicht beide Altsprachen für das Fach Philosophie obligatorisch sind. Ich leiste bewusst den Aufwand, welchen diese alten Sprachen erfordern weil ich einsehe, dass die dabei erworbenen Kenntnisse mir viel helfen werden, mit Texten aus der Antike zurecht zu kommen.

Das einzige, was eigentlich noch zu wünschen wäre und etwas, das ich den Latinums Absolventen sehr gönnen würde: Es wäre sinnvoll, wenn die auf sich genommenen Mühen auch mit einer angemessenen Anzahl Kreditpunkte für das Studium an der philosophischen Fakultät belohnt würden. Das sei ein Wort ins Ohr der Fakultätsmitglieder.