Ein Schein zum Träumen

Dr. Franca Siegfried
Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
NZZ-Kommentar vom 2.12.2016: „Während Schweizer Spitzenmanager für ihre Millionen wenigstens noch arbeiten, wollen die Lottospieler gross abkassieren und dafür fast nichts tun. Selbst bei grosszügig bemessenen 15 Minuten Zeitaufwand für das Ausfüllen des Lottoscheins käme der Gewinner des 50-Millionen-Topfs auf einen Stundenlohn, bei dem sogar die bestbezahlten Manager vor Neid erblassen müssten.“ So beschreibt Hansueli Schöchli das Lottofieber in der Schweiz – im Jackpot von Swisslos warten 59 Millionen Franken (Stand 8. Dezember 2016).
http://www.nzz.ch/wirtschaft/lottofieber-viele-schweizer-waeren-gerne-abzocker-ld.132245 

Boni-Ablass 
Wirtschaftsredaktor Schöchli hat mit seinem Kommentar ein neues Ablasswerk für Top-Manager kreiert. Er verlangt Gnade bzw. den Sündenerlass für Manager, welche Millionen einstreichen und macht dabei den Lottogewinn zum neuen Sündenfall: Lottospielende verlieren nach Schöchli das Seelenheil.

Win-win-Situation
Mit seinem Ablasswerk wird Schöchli etwa bei Ex-Manager Josef Ackermann punkten können, zumindest hat er gute Chancen für ein Exklusiv-Interview: Momentan steht Ackermann unter Druck, die Deutsche Bank verlangt seine Boni zurück.

Fortunas Sparte
Tatsache ist, dass es für das Lottospiel kein besonderes Geschick braucht, wie beispielsweise die Deutsche Bank zu führen: Sechs Zahlen plus Zusatzzahl bestimmen, den ausgefüllten Schein am Kiosk oder in der Post abgeben – auf das Glück hoffen. Gemäss ETH-Statistiker Martin Mächler besteht die Wahrscheinlichkeit, sechs Zahlen plus Zusatzzahl richtig zu tippen, im Verhältnis 1:31,5 Millionen.

Traum-Ticket 
Trotz der winzigen Chance für einen Millionengewinn werden bei Lottospielenden Tagträume geweckt: Ersehnte Lebensentwürfe mit genügend Geld für Handlungs- und Konsummöglichkeiten lassen Alltagssorgen verblassen bis zur Meldung, dass der Jackpot geknackt ist. Die Soziologen Jens Beckert und Mark Lutter sehen den Lottoschein gar als Träger von Tagträumen. http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/soziolgie_lotto.pdf

Kultur- und Sportförderin
Der NZZ-Journalist Schöchli hat jedoch als Homo-Oeconomicus mit Tagträumen nichts am Hut: „Doch viele Schweizer haben ein kleines schmutziges Geheimnis: Sie wären selber gerne Abzocker“, schreibt er. Was Schöchli nicht berücksichtigt, dass die Rechtsform von Swisslos eine Genossenschaft ist, und der Reingewinn nicht auf dem Salärkonto des Chefs landet: Letztes Jahr betrug der Reingewinn 354 Millionen Franken, welcher für gemeinnützige Zwecke eingesetzt wird. Tatsache ist, dass mit den Tagträumen des Schweizer Volkes Swisslos die bedeutendste Kultur- und Sportförderin des Landes ist.

Kommentare